Haushaltsrede der Fraktion Grüne im Rat der Stadt Viersen 2022

Norbert Dohmen

 Grüne im Rat der Stadt Viersen

 Haushaltsrede 2022

 Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, werte Rats-Kollegen, liebe Viersener und Viersenerinnen.

 Die Welt ist aus den Fugen geraten.

 Seit Jahrzehnten droht der Klimawandel, unseren Lebensraum zu zerstören. Seit zwei Jahren wütet die Corona-Pandemie. Und nun ein Krieg in Europa, vor unserer Haustür. Gegen die Erderwärmung kann jeder etwas tun durch Verbesserung seiner CO2-Bilanz. Masken, Abstände, Hygiene-Maßnahmen und vor allem Impfen reduziert die Ansteckungsgefahren von Covid. Beim Krieg in der Ukraine aber müssen wir ohnmächtig zusehen, wie ein machtgeiler Massenmörder sein Nachbarland bombardiert. Wir können nur Flüchtlinge aufnehmen und Hilfsgüter schicken. Ein aktives Eingreifen aber würde den dritten Weltkrieg bedeuten mit endgültiger Zerstörung unseres Planeten.

 In dieser Situation müssen wir uns heute um den städtischen Haushalt kümmern. Auch auf die Finanzen der Stadt haben alle drei Katastrophen direkte und indirekte Auswirkung. Maßnahmen gegen den Klimawandel erfordern erhebliche Investitionen, mehr Personalaufwand und höhere Kosten. Welche Schäden noch auf uns zu kommen können, hat die Flutkatastrophe im letzten Jahr schon angedeutet.

 Die finanziellen Folgen der Pandemie sehen wir bereits im Haushalt der letzten beiden Jahre: Höherer Aufwand und geringere Einnahmen haben Viersen bereits viele Millionen gekostet. In drei Jahren werden wir entscheiden müssen, ob wir dann die gesamten Rücklagen verbrauchen oder die Haushalte der nächsten 50 Jahre durch Abschreibungen belasten.

 Eine Besserung ist nicht in Sicht: Aktuell sind die Infektionszahlen auf neue Rekord- Stände gestiegen, Die neue Omikron-Variante BA.2 ist noch einmal gefährlicher und sorgt auch wieder für stärkere Belastung der Intensiv-Stationen und mehr Todesfälle. Trotzdem werden die Schutz-Maßnahmen gelockert und auch wir treffen uns wieder persönlich zu normalen Ausschuss-Sitzungen. Bei den letzten Sitzungen des Stadtrates haben wir nur mit halber Besetzung getagt, um die Ansteckungsgefahren zu vermindern – heute sind wir aber wieder fast vollzählig. Dafür habe ich kein Verständnis.

 Die Sanktionen gegen Russland treffen nicht nur den Aggressor, sondern auch uns selbst. Trotzdem sind sie richtig und wichtig. Ich bin auch nicht der Meinung unseres grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, dass wir weiter russisches Öl und Gas kaufen sollten. Mit diesem Staat dürfen wir keinerlei Geschäfte mehr machen, keine Energie dort kaufen und natürlich auch kein Uran, um die Laufzeit unserer Atomkraftwerke zu verlängern. Ja – Benzin hat inzwischen umgerechnet die 5 D-Mark pro Liter erreicht, für die wir so oft gescholten wurden. Aber was ist das gegen den Preis, den die ukrainische Bevölkerung zahlen muss?

 Auch indirekt ist unser Haushalt betroffen: Alle drei Katastrophen beeinträchtigen die Wirtschaft. Wir werden in den kommenden Jahren also auch mit geringeren Steuer- Einnahmen rechnen müssen.

 Seit der Einführung von NKF ähnelt der kommunale Haushalt mit Ergebnisplan und Finanzplan der Buchführung von Unternehmen: Der Ergebnishaushalt stellt die Einnahmen den laufenden Ausgaben gegenüber. Zu den Ausgaben gehören auch Pensions-Rückstellungen und Abschreibungen, also der Ressourcen-Verbrauch. Er ist mit der Gewinn&Verlust-Rechnung eines Unternehmens vergleichbar. Der Finanz-Haushalt zeigt die Bilanz-Veränderungen, er beinhaltet Geldströme, Investitionen und Kredit- Aufnahmen.

 Diese betriebswirtschaftliche Darstellung sollten endlich auch Bund und Länder übernehmen, die endlose Diskussion über Schuldenbremse und schwarze Null bekäme einen neuen Sinn: Die schwarze Null ist erreicht, wenn die Einnahmen zur Deckung der laufenden Ausgaben ausreichen, der Ergebnisplan also ausgeglichen ist. Die Schuldenbremse ist eingehalten, wenn neue Schulden und Werteverzehr (also Abschreibungen) geringer sind als die Investitionen. Wie jeder Häusle-Bauer darf auch der Staat Kredite aufnehmen, um Investitionen zu finanzieren. In der Bilanz ist dies lediglich ein Aktiv/Passiv-Tausch. Diese Betrachtungsweise sollte doch auch unserem FDPFinanzminister Christian Lindner zusagen.

 Unser Ergebnisplan weist für 2022 einen Fehlbetrag von 8 Mio aus. Verfehlen wir also die schwarze Null, bewegen uns wieder in Richtung Haushaltssicherung? Dazu müssen wir einen Blick zurück ins Vorjahr richten. Anfang 2021 erhielt die Stadt eine einmalige Gewerbesteuerzahlung im zweistelligen Millionen-Bereich und sorgte für einen erheblichen Überschuss in 2021.

 Neben den Steuer-Einnahmen sind die Schlüsselzuweisungen des Landes die wichtigste Einnahmequelle. Hierfür wird für jede Kommune der Finanzbedarf ermittelt und davon die Finanzkraft abgezogen. Die so berechneten Fehlbedarfe sind der Verteilungsschlüssel für die Landesmittel. Wegen der Mehreinnahmen des vergangenen Jahres bekommen wir in diesem Jahr rund 11 Mio weniger an Schlüsselzuweisungen. Dazu müssen wir 34% der Steuer-Einnahmen als Kreisumlage an den Kreis Viersen zahlen und auch die Gewerbesteuer-Umlage steigt. Hier zeigt sich wieder, dass die Gewerbesteuer-Einnahmen im Folgejahr zu 80 bis 90% wieder abfließen. Rechnet man diese im Vorjahr begründeten (und gedeckten) Effekte heraus, erzielen wir im aktuellen Plan ein stattliches Plus. Der Klimawandel zwingt uns dazu, den Verbrauch fossiler Brennstoffe deutlich zu reduzieren; die Auswirkungen des Ukraine-Krieges verschärften dies noch.

 Ein wesentlicher Faktor hierbei ist der Verkehr. Wir, aber auch andere Fraktionen, haben in der Vergangenheit viele Anträge dazu gestellt. Wir forderten Stadt-Tempo-30 und erinnerten dabei daran, dass der alte Beschluss zu Stadt-Tempo-40 immer noch gültig ist, aber immer mehr missachtet wird. Wir haben Radstraßen und -Zonen gefordert und die Sanierung der Radwege. Immer wieder wurden wir vertröstet auf ein zukünftiges Gesamtkonzept, auf die Erstellung des neuen Verkehrsentwicklungsplans. Die CDU beantragte die Abschaffung der Bettelampeln. Aber auch heute noch müssen Fußgänger und Radfahrer an roten Ampeln warten, auch wenn der PKW-Verkehr in gleicher Richtung Grün hat.

 Die bisherigen Vorgespräche zum neuen VEP lassen hoffen. Radverkehr, Fußgänger und ÖPNV bekommen einen höheren Stellenwert. Der Lärmaktionsplan schlägt neben Flüster- Asphalt auch vermehrt Tempo-30-Beschränkungen vor. Für die Sanierung der Radwege werden zwar keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt, aber 209.000€ aus dem Programm zur Sanierung von Fahrbahndecken für Radweg-Instandsetzung umgewidmet. Daraus soll dann allerdings die Sanierung „Clörather Mühle“ finanziert werden. Dies ist doch kein Radweg, sondern eine Anlieger-Straße für PKW und die Traktoren der Bauern! Und was ist mit Ihrem Leuchtturm-Projekt, dem Radweg an der Freiheitsstraße, Frau Bürgermeisterin? Hier soll nun ein Radstreifen auf der Fahrbahn eingerichtet werden, ohne Abgrenzung, ohne Abstand zum starken Autoverkehr. Dies ist kein zukunftsfähiger Radweg, vielmehr befürchte ich einen zukünftigen Unfall-Schwerpunkt.

 Der zweite große Energie-Fresser ist das Beheizen der Gebäude. Hier wollen wir Bebauungspläne, die Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen vorschreiben. Zumindest sollten alle neuen Gebäude den Effizienzhaus-Standard 40 erreichen. Für Investitionen sieht der Finanzplan 20,3 Mio vor, davon werden 11,5 Mio durch Zuwendungen aufgebracht. Die Stadt investiert selbst somit 8,8 Mio. Neue Kredite sind mit 6,1 Mio veranschlagt und alte Kredite in Höhe von 5,3 Mio getilgt. Die Netto- Neuverschuldung beträgt also nur 0,8 Mio und ist durch die Neuinvestitionen abgedeckt. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt bei Schulen. Auch sollen 6 neue Kindertagesstätten eingerichtet werden, um den Fehlbedarf zu decken. Allerdings tritt hier die Stadt nicht selbst als Investor auf. Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind fast ausschließlich Frauen mit ihren Kindern, damit dürfte weiterer Bedarf an Kita- und Schul- Plätzen entstehen. Die Planungen und auch der neue Schulentwicklungsplan müssen nochmals überprüft werden.

 Kein Verständnis aber haben wir für mehrere Millionen Investition, um für 30 Asylbewerber eine neue Container-Anlage zu errichten.

 Es gibt noch viele Probleme, die hier nicht alle angesprochen werden können. Einen Punkt möchte ich abschließend aber noch ansprechen: die Digitalisierung. Es ist schon beschämend, wie weit Deutschland hier im internationalen Vergleich hinterher hinkt. Im Jahr 2017 trat das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft. Das Gesetz setzt eine Frist von 5 Jahren – diese Frist läuft Ende des Jahres aus. Bis dahin müssen alle Behörden ihre Leistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anbieten. Diese Forderung ist aber kaum noch einzuhalten.

 Ich empfehle die Lektüre des Computermagazins c't: Im Heft 6/22 finden sich dort drei sehr informative Artikel, die sich mit dem OZG, mit einem Vergleich der Angebote verschiedener Kommunen und mit Software- und Schnittstellen-Problemen beschäftigen. Auch Vergabeprobleme und In-House-Lösungen sind Thema der Veröffentlichung. Auch in der Verwaltung selbst gibt es noch Unzulänglichkeiten beim Datenzugriff. Wir sind vor gut einem Jahr in unser neu gebautes Haus umgezogen, haben aber keinen Grundsteuer-Bescheid bekommen. Anfang März rief ich daher bei der Stadt an. Die Mitarbeiterin sagte mir, dass dies leider ein häufiges Problem sei. Sie bekäme keine Informationen über Umzüge innerhalb der Stadt, das Einwohnermeldeamt dürfe dies aus Datenschutzgründen nicht.

 Es kann doch nicht sein, dass ich bei einem Umzug neben der Ummeldung im Service- Center auch noch alle anderen eventuell betroffenen Ämter informieren muss. Die linke Hand sollte schon wissen, was die rechte tut. Das hat mit Datenschutz nichts zu tun. Insgesamt sehen wir die Stadt Viersen auf dem richtigen Weg zwischen sparsamer Haushaltsführung und der Erfüllung der notwendigen Aufgaben. Wir stimmen dem Plan daher zu.

 Herr Canzler und die MitarbeiterInnen der Kämmerei haben uns bei unseren Beratungen ausführlich zur Seite gestanden und alle unsere Nachfragen beantwortet. Dafür vielen Dank.

 Und auch Danke an meine Zuhörer/Leser/Innen für Ihr Interesse.

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