Listenart | religiöse Denkmäler |
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Listennummer | 528 |
Baujahr | um 1880 |
Eingetragen seit | 20.09.2017 |
Flur / Flurstück | 31 / 34 |
Adresse |
Friedhof Dülken
41751 Viersen |
Beschreibung
Das marmorne Grabmal besteht aus einem stehenden Kreuz und einer seitlich davor stehenden Engelsfigur, beide auf einem flachen Sockel, der einen steinigen Boden stilisiert darstellt. Sie steht auf einem ca. 60 cm hohen, quaderförmigen Sandsteinsockel, der auf allen vier Seiten den Namen eines Verstorbenen der Familie von Wilhelm Specken (1808-1896), Fabrikant und Ehrenbürger der Stadt Dülken, trägt.
Das sehr schlichte Kreuz besteht aus einfachen langrechteckigen Hoch- und Querbalken. Seitlich vor dem Kreuz, leicht an dieses angelehnt, steht ein halbfrontaler, lebensgroßer Engel mit großen, bis fast auf den Boden reichenden Flügeln und einem langen gegürteten Gewand. Der Kopf der jugendlichen, schlanken Gestalt mit den Zügen einer jungen Frau endet kurz unterhalb des Querbalkens. Die Arme sind vor der Brust verschränkt. Der Kopf mit dem schulterlangen, gelockten Haar ist leicht zur Seite geneigt, die Augen sind scheinbar geschlossen. Im gesteinsförmigen Boden findet sich die Künstlersignatur „F. Vichi“ sowie noch schwach lesbar der Zusatz „Firenze“.
Der originale Sockel wurde 2014, als der Grabengel zwischenzeitlich an einen neuen Standort verbracht wurde, beseitigt. Die ursprünglichen Sockelinschriften zum Grab Wilhelm Specken, für das der Grabengel beschafft worden war, sind aber in der Dokumentation der Stadt Viersen aus den 1990er Jahren festgehalten und auf dem neuen Sockel aufgebracht worden:
Sockel vorne:
RUHESTÄTTE DER FAMILIE SPECKEN
AMALIE SPECKEN
GEBOREN (17.) NOVEMBER 1837
GESTORBEN 15. MAI 1880
Sockel rechts:
(ER)NESTINE SPECKEN
(GEB)OREN 5. NOVEMBER 1810
(GESTOR)BEN 24. DEZEMBER ( )
Sockel rückwärtig:
ANNA MARIA SPECKEN GEB. MEWISSEN
GEBOREN 16. DEZEMBER 1807
(G)ESTORBEN 4. AUGUST 1861
Sockel links:
WILHELM SPECKEN
GEBOREN 15. M(AI) (1808)
GESTORBEN 12. DEZEMBER (1896)
Begründung des Denkmalwerts
Bedeutung für Dülken, Stadt Viersen
Der Grabengel des Grabes Specken ist bedeutend für Dülken, Stadt Viersen als integraler historischer Bestandteil des Friedhofs Dülken und als Zeugnis der Ortsgeschichte.
Der Friedhof Arnoldstraße wurde 1873 als neuer Kommunal-Friedhof für die aufstrebende Industriestadt Dülken angelegt. Seine Anlage trug dem raschen Wachstum Rechnung, den die Stadt Dülken zwischen 1830 und 1900 erlebte. 1831 war der bis dahin benutzte Kirchhof an der Kirche St. Cornelius geschlossen worden, wofür neben Platzgründen vor allem die seit dem 18. Jahrhundert üblichen Hygienevorstellungen und –vorschriften verantwortlich waren, nach denen Begräbnisstätten nicht mehr innerhalb geschlossener Ortschaften bzw. unmittelbar von Bebauung liegen sollten. Eine in diesem Jahr wegen der Choleragefahr eingesetzte Gesundheitskommission beschloss am 17. Oktober 1831 die Verlegung des Kirchhofes außerhalb der Stadt, was noch im selben Monat erfolgte. Der neue Begräbnisplatz wurde auf einem Gelände der Katharinenvikarie in Nähe der Kreuzkapelle an der Süchtelner Straße (heute Tilburger Straße) angelegt: der seit 1924 zu einer öffentlichen Grünanlage umgestaltete Alte Friedhof (Marienpark). Daneben gab es eigene Begräbnisplätze für die evangelischen und für die jüdischen Einwohner.
Jedoch „nach Schleifen der Stadttore setzte ein stetiges Anwachsen der Bevölkerungsziffer und damit Hand in Hand gehend eine erhöhte Bautätigkeit, namentlich im Norden der Stadt, ein, so dass der 1831 an der Süchtelner Straße vor dem Steinentor angelegte Friedhof Anfang der siebziger Jahre fast im Weichbilde der Stadt lag. Auch hatte man schon seit mehreren Jahren wegen Terrainmangels die Leichen übereinander begraben müssen, ein Übelstand, der auf die Dauer immer unhaltbarer wurde. So war dann angesichts dieser Mängel die Schaffung eines neuen Friedhofes eine dringende Notwendigkeit geworden. Er wurde als Kommunal-Friedhof im Norden der Stadt am Losenerweg in einer Größe von 15 Morgen durch Bürgermeister Wachter angekauft und dient seit dem Jahre 1873 als Begräbnisplatz für beide christliche Konfessionen.“ [Doergens, eite 283]
Dieser Friedhof an der heutigen Arnoldstraße musste in den letzten, über 140 Jahren mehrfach erweitert werden. Bereits 1895 erfolgte eine Landschenkung durch Bürgermeister a.D. Wachter zur Erweiterung der Anlage; eine solche erfolgte dann 1914 nach Norden und 1925 nach Osten. Als Infrastrukturbauten wurden 1876 das Friedhofsgärtnerhaus (Leichenhaus und Wohnung des Totengräbers) und 1959 eine Friedhofskapelle errichtet. Das zentrale Hochkreuz stammt aus dem Jahr 1896.
Der Friedhof besitzt in seinen historischen Kernbereichen im Wesentlichen ein regelmäßiges, rechtwinkliges Wegesystem. Vor allem hier finden sich zahlreiche historische Grabstätten, überwiegend von bedeutenden Persönlichkeiten und Familien der Dülkener Ortsgeschichte. Eine ansatzweise Konzentration dieser historischen Grabstätten am ersten Parallel-Weg zwischen den beiden Eingängen zur Arnoldstraße ist feststellbar und verleiht der Anlage hier auch optisch noch ein bemerkenswertes historisches Gepräge.
Das Familiengrab Specken ist dieses historischen Kerns des Friedhofs. Prominentester Vertreter dieser Familie, für deren Grab der Grabengel angeschafft wurde, war Wilhelm Specken (1808 – 1896), Kaufmann und Unternehmer, Teilhaber der Firma Specken & Weyermann und Schwiegersohn von Gerhard Mevissen. Aus Roermond stammend, war er als Kaufmann zunächst in Viersen und seit den 1830er Jahren in Dülken wohnhaft und tätig. Nach der Heirat war er zunächst Teilhaber in der Firma seines Schwiegervaters, 1839 gründete er zusammen mit Albert Weyermann, bis dahin ebenfalls in Viersen tätig, die im Kern bis heute bestehende Seidenfabrik Specken & Weyermann. Als Firmensitz und eigenes Wohnhaus ließ er das stattliche Doppelhaus Lange Straße 14/16 errichten. Kurz vor seinem Tode 1896 erhielt er von der Stadt Dülken noch die Ehrenbürgerschaft für 50-jährige Tätigkeit als Stadtverordneter, darunter lange Jahre als erster Beigeordneter und im Krieg 1870/71 vorübergehend auch als geschäftsführender Bürgermeister.
Wilhelm Specken galt als sehr reich. Bei seinem Tod, 1896 hochbetagt im Alter von 88 Jahren, hatte er seine nähere Familie durchweg überlebt. Dies ist auch der Hintergrund für das sehr ungewöhnliche Grabmal auf dem Familiengrab, das nicht wie üblich bei einem lokalen oder regionalen Steinmetzen oder Bildhauer, sondern einem der offenkundig gefragtesten Hersteller anspruchsvoller „Gebrauchs-“Skulptur jener Zeit in Florenz hergestellt wurde und von entsprechend bemerkenswerter Qualität ist.
Künstlerische und wissenschaftliche, hier kunstgeschichtliche Bedeutung
Es handelt sich um eine künstlerisch sehr qualitätvolle Arbeit in spätklassizistischem Stil. Bemerkenswert ist neben dem edlen Material Marmor vor allem die große Feinheit im Detail, sowohl in Gestalt und Zügen des Engels als auch im Faltenwurf des Gewandes. Zusammen mit den schlanken Proportionen ergibt sich eine sehr elegante Figur, für die das sehr schlichte Kreuz einen entsprechend zurückgenommenen Hintergrund bietet.
Skulpturen dieser Art und Größe sind ein charakteristischer Bestandteil der Grabmalkunst des späten 19. Jahrhunderts. Darstellungen des Engels gehören dabei mit zu den häufigsten Motiven, besitzen sie doch eine eingängige Ikonographie / Bedeutung als Mittler zwischen Leben und Tod, zwischen den Sphären der Erde und des Himmels. In dieser Bedeutung hat der Engel keine dezidiert trauernden Züge, sondern wie hier eher einen ruhigen, melancholischen Ausdruck. Häufig sind Engel dieser Bedeutung daher auf Gräbern anzutreffen, die schon zu Lebzeiten des Familienoberhauptes für vor ihm verstorbene Familienmitglieder angelegt wurden, was im Falle von Wilhelm Specken, ohne dass dies quellenmäßig belegt ist, als Motiv zutreffen könnte.
Von herausragender Bedeutung ist, dass es sich bei dem Grabengel vom Familiengrab Specken ausweislich der Signatur an der Figur um das Werk eines international bekannten Künstlers handelt: dem Bildhauer Ferdinando Vichi (1875-1941) aus Florenz. In eine Künstler- bzw. Galeristen-/Kunsthändlerfamilie geboren, kam er früh mit der Kunst in Berührung und studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Florenz. Folgt man der Literatur über ihn, galt er bald als eine Art „Wunderkind“, das noch nicht 20-jährig schon zahlreiche internationale Preise und große Verkaufserfolge erzielt hatte. Demnach fanden seine Werke schon in den 1890er Jahren weite Verbreitung nicht nur in Italien, sondern vor allem auch in Deutschland, Frankreich, England, Nord- und Südamerika sowie Indien. Später wurde er mit seinen zunächst nur zu Studienzwecken angefertigten Fotografien auch als Fotograf bekannt.
Wie zahlreiche andere Bildhauer des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts profitierte Vichi von der Konjunktur und dem Zeitgeschmack im (groß-)bürgerlichen und adligen Wohnhausbau sowie der florierenden öffentlichen Denkmalkultur und Grabmalskunst. Skulpturen ganz unterschiedlichen Formats, von der Kleinplastik für die Raumausstattung bis hin zu öffentlichen Monumenten, lassen sich von Vichi in einschlägiger Literatur und Auktionskatalogen in ungewöhnlich großer Zahl finden. Seine bevorzugten Materialien waren Marmor und Alabaster (bei vor allem Kleinplastik), nur in geringem Maße stellte er Bronzeskulpturen her. Diese Materialien verweisen auch auf den teils barocken, häufig klassizistischen, dabei weichen und teilweise beinah „lieblichen“ Stil seiner Figuren, womit Vichi zu seiner Zeit alles andere als avantgardistisch, sondern konventionell und akademisch arbeitete, was aber dem überwiegenden Publikumsgeschmack entgegenkam. Die weite Verbreitung seiner Werke zeigt nicht nur ihre – bis heute andauernde – Beliebtheit, sondern belegt außerdem auch ein modernes, offenbar sehr gut ausgebautes Vertriebssystem – sei es über die eigene Galerie in Florenz oder über andere Vertriebskanäle zum Beispiel von international tätigen „Agenten“.
Da einschlägige Datenbanken und Verzeichnisse fehlen, ist ein Überblick über in deutschem Raum vorhandene und öffentlich zugängliche Werke von Vichi nicht annähernd möglich. Hinzu kommt, dass er zwar der Forschung im italienischen Sprachraum gut bekannt ist, dies im deutschsprachigen Raum heute aber nicht der Fall zu sein scheint. So ist zum Beispiel auf rheinischen Friedhöfen noch kein Werk seiner Hand bekannt geworden, der Dülkener Grabengel steht damit hier an erster Stelle. Im denkmalpflegerischen Kontext ist daneben noch das Grabmal vom Grab Goedecker auf dem Nordfriedhof in Wiesbaden zu nennen, außerdem die Porträtbüste des Mediziners Karl Alfred Graefe in Halle oder verschiedene Skulpturen als Ausstattung von Villen oder Villengärten, die über entsprechende Internetrecherchen greifbar sind (Villa Schratt, Wien; vgl.a. Grabmal Bally, Schönenwerd/CH).
Die Datierung des Dülkener Grabengels ist derzeit unbekannt. Setzt man voraus, dass er spätestens mit dem Tode Wilhelm Speckens 1896 aufgestellt wurde (entsprechende Belege fehlen allerdings), würde es sich um ein recht frühes Werk des 1875 geborenen Vichi handeln, was aber durchaus möglich erscheint, da Vichi in diesem Alter ja bereits tätig und bekannt war. Auf jeden Fall dokumentiert der Grabengel Reichtum und Anspruchsniveau von Wilhelm Specken, der seinen Grabschmuck eben nicht bei einem der durchaus auch zu repräsentativen Gestaltungen fähigen Bildhauer aus der Region, sondern in bzw. aus Italien beschaffte – zu einem sicher schon damals nicht unerheblichen Preis.
Das Grabmal/ Engel am Kreuz der Familie Specken ist ein Denkmal im Sinne des §2 Denkmalschutzgesetz NW. Es ist bedeutend für Dülken, Stadt Viersen. An der Erhaltung dieses für Dülken bedeutenden Grabmals besteht somit aus künstlerischen und wissenschaftlichen, hier kunstgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Die Voraussetzungen gemäß §2 Denkmalschutzgesetz für eine Unterschutzstellung sind daher gegeben.
Quellen/ Literatur
· Materialsammlung / Dokumentation der Stadt Viersen, Untere Denkmalbehörde und Stadtarchiv
· Denkmaldatenbank BODEON im LVR-Amt für Denkmalpflege
· Stadt Viersen: Führer zum Tag des offenen Denkmals 2011
· Hugo Doergens: Chronik der Stadt Dülken. Dülken 1925
· M. Fischer: Wilhelm Specken. In: Die Heimat (Krefeld) 20, 1941, S. 283f.
· Marco Vichi: Ferdinando Vichi – Scultor e Fotografo. In: AFT – Rivista di Storia e Fotografia. Hrsg.: Archivio Fotoggrafico Toscano. Nr. 10, Dezember 1989, S. 14-45
Stand
06.03.2014