Listenart | industrielle Denkmäler |
---|---|
Listennummer | 545 |
Baujahr | 1911 |
Eingetragen seit | 04.08.2021 |
Flur / Flurstück | 48/423 |
Adresse |
Grefrather Straße 118
41749 Viersen |
Darstellung der wesentlichen charakteristischen Merkmale
Die Pappen- und Papierfabrik H. Lehnen in (Viersen-) Süchteln wurde ca. 1911 nach einer Planung des Architekten Franz Bruysten (Viersen/ Barmen) auf Grundlage von Konstruktionen der Firma Wayss & Freytag AG (Düsseldorf) errichtet. Als Gründungsjahr gilt 1911, die Planung und Errichtung der ersten betriebsfähigen Bauten dürfte sich anhand der Akten etwa über einen Zeitraum 1910-12 mit Abschluss vielleicht erst 1914 hinweg gezogen haben. So sind die frühesten in der Bauakte erhaltenen Pläne vom Oktober 1910 später noch überarbeitet worden, auch eine erste Neufassung 1912 musste 1914 noch einmal korrigiert nachgereicht werden. Diese Korrekturen von 1914 sind zeichnerisch leider nicht erhalten.
Angelegt wurde die Fabrik im damals noch neuen Industriegebiet Süchtelns, nördlich der Innenstadt zwischen der stadtauswärts führenden Landstraße (Grefrather Straße) und der rückwärtig parallel verlaufenden Eisenbahnlinie (Krefelder Eisenbahn), zu der ein eigenes Anschlussgleis eingerichtet wurde.
In den folgenden Jahrzehnten erfolgten zahlreiche Erweiterungen und Umbauten der bis in das 21. Jahrhundert hinein unter wechselnden Besitzern produzierenden Fabrik. Der nachfolgend beschriebene denkmalwerte Bestand bezieht sich auf den weitgehend erhaltenen Ursprungsbau von 1910-12/14, mit einigen kleinen Erweiterungsbauten aus den 1920er Jahren.
Diese Kernanlage setzt sich prinzipiell aus drei Bereichen zusammen, deren jeweils unterschiedliche bauliche Ausprägung den grundlegenden Funktionsabläufen in der industriellen Pappen- und Papierherstellung folgte und diese ablesbar macht. Der Produktionsprozess begann rückwärtig in einem nahe der Bahnlinie gelegenen Hochbau, in dem die pflanzlichen Rohstoffe (hier in der Regel Stroh) ankamen und durch – vereinfacht gesagt – Zerkleinern (Zerfasern), Kochen und Bleichen für die eigentliche Herstellung aufbereitet wurden. Die dadurch entstandene zähflüssige Masse wurde dann auf langen Bandmaschinen zunächst zu Papier- bzw. Pappebahnen verarbeitet, gepresst, getrocknet und schließlich zugeschnitten. Dies geschah in dem lang gestreckten eingeschossigen Hallenbau, der sich an den Hochbau anschließt. In den an der Straße gelegenen Flachbauten schließlich waren das Lager für die fertigen Produkte und die Büros untergebracht.
Die Gebäude sind außen im Wesentlichen backsteinsichtig, zum Teil mit hellen Gliederungselementen, bei denen die zugrundeliegende Betonkonstruktion sichtbar belassen wurde.
Der Hochbau ragt mit seinen drei Geschossen und einem flachem Satteldach, mit leicht geknickten Dachflächen, aus dem Areal heraus. Rückwärtig und seitlich waren und sind weitere funktional zugehörige Gebäudeteile angeschoben, darunter die nicht mehr vorhandenen Maschinen- und Kesselhäuser samt Schornstein. Insbesondere an den Giebelseiten, die aufgrund der Höhe auch Fernwirkung besitzen, finden sich auch durchaus dekorative Elemente, z.B. Fenster mit Blend-Überfangbögen und eine über das reine Betonskelett hinausgehende Gestaltung mit betonsichtigen und reliefierten Flächen. Zugespitzt erfolgt dies am in der nordöstlichen Ecke gelegenen, überhöhten querrechteckigen Treppenturm, der regelmäßige Fensterachsen bzw. dekorative axiale Lisenen besitzt und in der Giebelspitze unter dem, wie am Hauptbau mansarddachartig gebrochenen, Satteldach liegende ovale Blend-Okuli als Schmuck zeigt. Auch der daneben anschließende nördliche Giebel des Hochbaus ist dekorativ vergleichsweise aufwändig gezeichnet, mit Blend-Thermenfenstern und größeren Anteilen an betonsichtigen Flächen, die die Fassade achsensymmetrisch in Felder teilen. Insgesamt erscheint so die Nord-/Nordost-Ansicht aufwändiger als eine Hauptansicht herausgearbeitet, wohingegen die stadtseitige Südansicht des Hochbaus schlichter erscheint und auch bereits früh weitere Anbauten erhielt. Hier wie auch an den Traufseiten ist eine weitgehend regelmäßige achsiale Einzelfensterordnung erfolgt und die Dreigeschossigkeit durch Fenster- oder Gesimslinien ablesbar. Auffällig ist auf der Südwestecke ein (zu einem Treppenlauf umgebauter?) Schornsteinstumpf. Architektonisch bemerkenswert ist im Inneren des Hochbaus das erhaltene schlanke Betonskelett in fachwerkartiger „monolithischer“ Montagebauweise, das als statisch stark belastbare Raumstruktur die über drei Geschosse ablaufende Rohstoffaufbereitung aufnahm, wobei die schwersten Geräte – Kocher und Holländer – im Erdgeschoss standen.
Das sich anschließende Fabrikgebäude, ein eingeschossiger Flachbau, bildet im Inneren einen langen stützenlosen Raum, der mit einem flachen Bogendach aus Eisenbeton überspannt ist. Das Dach ruht auf dem Betonskelett der seitlichen Außenmauern; ursprünglich waren die Außenwände zwischen dem betonsichtig belassenen Skelett mit Backstein ausgefacht. Die Belichtung erfolgte oberlichtartig mittels Durchfensterung etwa des oberen Drittels der beiden Außenwände, außerdem von oben durch Öffnungen in der Bogenwölbung. Die unteren Bereiche der Hallenwände waren bis auf wenige Ausnahmen fensterlos geschlossen.
Vorne an der Straße mündete das Fabrikgebäude in einem auf etwa quadratischer Grundfläche breit gelagerten, zweigeschossigen Flachbau mit flachem Satteldach, der hauptsächlich das Lager der fertig gestellten Waren sowie Büros enthielt. Konstruktiv besteht er wieder aus einem (monolithischen) Betonskelett aus schlanken Stützen, Unterzügen und Decken - ähnlich jenem im Hochbau, dem er auch gestalterisch mit überwiegend backsteinsichtigen Außenwänden und nur vereinzelten betonsichtigen Gliederungselementen angepasst ist. Zur Straße hin ist eine einfache Giebelfassade ausgebildet, mit vier breiten regelmäßigen Fensterachsen mit dreiteiligen Fenstern, die in flach zurückgestuften Blendfeldern sitzen, wodurch die Fassade ein Relief erhält. Sie ist außerdem als eine Art Schildwand seitlich und oben leicht über den dahinterliegenden Baukörper hinaus geführt. Eine Betontreppe mit geschlossener Brüstung stellt im Lagerbereich die Verbindung zwischen beiden Geschossen her, im Bürobereich auf der südlichen straßenseitigen Ecke eine konventionelle Holztreppe. Die rechte (stadtseitige) Seitenwand ist enger gerastert als die Straßenfassade. Mittig ist hier ebenfalls ein flacher Giebel ausgebildet.
Die nördliche Seite wurde schon früh durch Erweiterungsbauten geöffnet. So wurde hier 1928 ein größerer, noch erhaltener Baukörper angebaut, zur Straße ein zweigeschossiger Bürotrakt mit Flachdach, backsteinsichtig mit gleichmäßiger Fensterreihung in beiden Geschossen vorne, dahinter eine eingeschossige Sheddachhalle mit eiserner Dachkonstruktion als weiteres Lager. Zu dieser Zeit bereits vorhanden (in der Bauakte nicht überliefert) war ein anderer eingeschossiger Erweiterungsbau mit durch Lisenen gerasterter Backsteinfassade auf der Südseite, in den Zwickel zwischen Büros und Produktionshalle geschoben, der ebenfalls in den an den ältesten Gebäuden orientierten Denkmalumfang einbezogen wird.
Denkmalwert
Im Sinne des Denkmalschutzgesetzes NRW sind die Gebäude der ehemaligen Pappen- und Papierfabrik H. Lehnen im beschriebenen Umfang bedeutend für Städte und Siedlungen, hier den Ort Süchteln (Stadt Viersen) und für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Ihre Erhaltung und Nutzung liegt aus wissenschaftlichen Gründen im öffentlichen Interesse.
Als Zeugnisse der Ortsentwicklung und der Wirtschaftsgeschichte sind die Gebäude bedeutend für Süchteln. Ihre Errichtung war Teil eines industriellen Infrastrukturprogramms im bis dahin, im Zuge des industriellen Aufschwungs nach 1870 wirtschaftlich gegenüber den umliegenden Orten (vor allem Dülken und Viersen) zurückgebliebenen Süchteln. Um zudem von der krisenanfälligen Monokultur der Textil- und insbesondere Seidenverarbeitung weg zu kommen, warb die Stadt Süchteln Anfang des 20. Jahrhunderts überregional um die Ansiedlung neuer Unternehmen. Im Zuge dessen entwickelte sich nördlich der Innenstadt an Grefrather Straße und Feldstraße ein neues Industriegebiet. Mit entscheidend hierfür war die Eisenbahnlinie von Süchteln über Vorst nach Oedt bzw. Grefrath mit direkten Industriegleisanschlüssen und einem Haltepunkt an der Oedter Straße, von dem aus außerdem die Süchtelner Höhen als Ausflugsrevier erschlossen wurden.
Die erste große neue Werksgründung stammte zwar noch aus dem alten Metier: 1900 errichtete die Samt-, Plüsch- und Möbelstoffweberei Christoph Andreae aus Köln-Mülheim an der Grefrather Straße 69 ein Zweigwerk. Die ehemaligen Fabrikgebäude sind heute abgerissen. Weitere Betriebe, teilweise Zulieferbranchen für die Textilindustrie, siedelten sich an der Feldstraße und an der Moersenstraße (Webschützenfabrik Borg) an, deren Produktionsgebäude heute aber entweder beseitigt oder in heterogenem Baubestand eingebunden sind wie z.B. die älteren Bauten auf dem Gelände der ehemaligen Pappen- und Papierfabrik H. Lehnen. Auffällig ist außerdem der Alleecharakter der Feldstraße zwischen Grefrather Straße und alter Bahnlinie, der zusammen mit alter Backsteinmauer und dem älteren Verwaltungsgebäude der Fa. Kohlschein (ehemals Stahlwerk Dischner, Feldstraße 9) noch städtebauliche Raumvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts transportiert. Ein anderes Ergebnis dieser Ansiedlungspolitik war die 1905 eröffnete Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal.
Die Pappen- und Papierfabrik H. Lehnen (Heinrich Lehnen, 1882-1930 – bereits seine Vorfahren betrieben in Süchteln seit den 1870er Jahren eine „Pappenkleberei“) entwickelte sich rasch zu einem prosperierenden Unternehmen, das in der Wirtschaftsgeschichte Süchtelns, später unter verschiedenen Eigentümern und Namen, lange Zeit eine gewichtige Rolle spielte. Gerade in den frühen Jahren wurde dabei auch die Modernität ihrer Produktion und damit indirekt auch der Gebäude, die diese Produktionsabläufe ermöglichten, hervorgehoben.
Die Geschichte des Unternehmens ist in den wichtigen Publikationen zur Ortsgeschichte dargestellt, darunter ausführlich von Heinz Prost, der ebenfalls hervorhebt: „Der Betrieb wurde seinerzeit mit den modernsten Maschinen ausgestattet und zählte bald zu den leistungsfähigsten in Deutschland.“ 1928 arbeiteten bei Lehnen immerhin 190 Arbeiter und Angestellte. Im Nachgang der Weltwirtschaftskrise und wegen Problemen bei der Rohstoffzufuhr musste das Unternehmen allerdings 1932 Konkurs anmelden. Der Verkauf an den Düsseldorfer Chemiekonzern Henkel Mitte der 1930er Jahre rettete die Fabrik, die nun als „Papier und Pappe AG“ firmierte und u.a. Kartons für das Waschmittel „Persil“ von Henkel produzierte. 1978 verkaufte der Henkelkonzern das Süchtelner Werk an die Unternehmerfamilie Kröning. Nach weiteren Eigentümerwechseln und mehr als 100 Jahren Papier- und Pappeherstellung endete mit der Insolvenz 2017 die industrielle Produktion in den Fabrikgebäuden.
Auch wenn ein Teil der Ursprungsgebäude wie z.B. Kesselhaus und Schornstein sowie die Maschinen nicht erhalten sind, so ist im erhaltenen Bestand, insbesondere Größe, Art und Anordnung der Gebäude, dennoch der Produktionsablauf einer Pappe- und Papierfabrik im Prinzip noch nachvollziehbar: Von der Anlieferung und Vorbereitung des Rohstoffs im Hochbau über die Papiermaschinen in der langen, flach gewölbten Halle hin zu Lagerung und Vertrieb im vorderen Kontor- und Lagergebäude. Hierin liegt die Bedeutung für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. „Auf der grünen Wiese“ wurden hier 1910-12 moderne Bauten genau auf diesen Zweck zugeschnitten errichtet, wobei der ausführende Architekt Franz Bruysten (Viersen, hier aber mit Ortsangabe Barmen zeichnend) auf Konstruktionen der großen Betonbaufabrik Wayss & Freytag zurückgriff und selbst vermutlich nur für die architektonische Ausgestaltung und die Bauleitung zuständig war. Bei Wayss & Freytag hingegen handelte es sich um eines der seinerzeit führenden Unternehmen im „Eisenbeton-“ und vor allem Industriebau, das für die – für seine Verhältnisse - vergleichsweise kleine Süchtelner Fabrik moderne Bauten auf Basis des zeitgenössischen Eisenbetonbaus lieferte. In eindrucksvoller Weise noch erhalten sind vor allem die verschiedenen verwendeten Betonkonstruktionen: die monolithische (fachwerkartige) Skelettbauweise in den statisch hoch beanspruchten und funktional differenzierten Gebäuden einerseits, die stützenlose Halle mit flachem Beton-Bogendach im Produktionsgebäude andererseits. Architektonisch umgesetzt und ablesbar ist hier eine moderne industrielle Papierherstellung um 1900, die sich von der jahrhundertealten handwerklichen Produktion weiterentwickelt hatte. Im Speziellen zählt hier dazu die um 1870 industriell etablierte Herstellung von Papier aus Stroh, bei der die Bleiche unter Verwendung von Kalk in großen Kochern zentral war. Das Endprodukt Strohpappe war ein vergleichsweise einfaches, meist für Verpackungen eingesetztes Produkt, dessen Verwendung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zurückging.
Die Gebäude sind im beschriebenen, im Wesentlichen auf den Ursprung 1910-12/14 zurückgehenden Umfang gut und anschaulich erhalten. Sie sind daher geeignet, der wissenschaftlichen Forschung zur Ortsgeschichte (s.o.) sowie zur Architekturgeschichte, hier des Industriebaus und speziell des Papierfabrik-Baus im frühen 20. Jahrhundert (bekanntestes Beispiel im Rheinland wohl die denkmalgeschützten Bauten der Papierfabrik Zanders in Bergisch Gladbach, der gegenüber Süchteln ein kleineres, kompaktes Format darstellt) als Quelle und Anschauung zu dienen. Ihre Erhaltung und Nutzung liegt daher aus wissenschaftlichen Gründen im öffentlichen Interesse.
Quellen/ Literatur
- Bauakte der Stadt Viersen
- Materialsammlung, insbesondere Chronologie, zusammengestellt durch die Untere Denkmalbehörde der Stadt Viersen
- Bruno Schmidt: Stadt im Grünen. Die Siedlungs- und Entwicklungsgeschichte Süchtelns. Süchteln 1999, Seite 175f.
- Heinz Prost: Süchteln wie es damals war - Gartenstadt, Ausflugsort, Industriestadt. Süchteln 2004, Seite 156-166
- Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der Wayss & Freytag AG, 1875 – 1925. Stuttgart 1925
Stand
03.05.2021