Listenart | religiöse Denkmäler |
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Listennummer | 557 |
Baujahr | 19. Jahrhundert |
Eingetragen seit | 22.04.2024 |
Flur / Flurstück | 102/1122 |
Adresse |
Friedhof Löh
41747 Viersen |
Geschichte
Im Mittelalter wurden die Toten direkt neben der Kirche auf den Kirchhöfen bestattet. Diese unmittelbare Nähe der Kirche sollte auch die Nähe zu Gott symbolisieren. Mit schwindendem Einfluss der Kirche und dem Sieg der Aufklärung gewann die Sorge um die Gesundheit der Lebenden und den damit verbundenen hygienischen Erwägungen mehr Gewicht als die Sorge um das Seelenheil der Toten. So führten die Missstände auf dem katholischen Friedhof an der Pfarrkirche Remigius – üble Gerüche, Mehrfachbestattungen in einem Grab – sowie auf dem evangelischen Friedhof hinter der Kreuzkirche – Trinkwasserbelastung – dazu, dass 1866 ein kommunaler Friedhof an der Löh angelegt wurde.
Bei der Gestaltung bevorzugt man „Parkfriedhöfe“, die Landschaftsgärten nachempfunden wurden. Der Viersener Friedhof ist dafür ein schönes und gutes Beispiel. Die gärtnerische Nachahmung der Natur dient der Beförderung der Vorstellung, dass der Hingeschiedene in den Schoß der Natur zurückkehrt. Er bleibt nicht bei den Lebenden, wie auf den mittelalterlichen Friedhöfen, sondern wird der Erde zurückgegeben, von der er genommen war.
Den beiden großen Konfessionen trug man bei der Anlage des Friedhofs Löh Rechnung, indem man zwei Friedhofskapellen errichtete und dem jeweiligen Leichenzug einen separaten Zugang auf den Friedhof durch ein repräsentatives Tor ermöglichte. Unmittelbar an den Friedhofskapellen finden sich auf großen Grabstätten mit meist imposanten Grabsteinen die wichtigen Familien und Persönlichkeiten, die die Stadt Viersen in wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftliche und/ oder kirchlicher Hinsicht prägten.
Beschreibung
Die mehrfach gestufte, nach oben leicht verjüngte Marmorstele wird von einem durch ein Gesims abgetrennten Dreiecksgiebel bekrönt. Dieser trägt seitlich und mittig Akroterien. Das Gesims und der Mittelteil werden durch einen Mäanderfries unterteilt. In eingelegter, vergoldeter Fraktur findet sich die Inschrift:
Ruhestätte der Familie
H A A S E N
Friedr. Wilh. Haasen
geb. 7. Oktbr. 1820, gest. 18. Novbr. 1896
Henriette Haasen
geb. 1. Aug. 1828, gest. 26. März 1908
Peter Haasen
geb. 9. Aug. 1861, gest. 20. Aug. 1920
Wilhelm Haasen Emma Haasen
1895 – 1940 1861 – 1945
Auguste Haasen Fritz Haasen
1869 – 1946 1893 – 1960
Im Sockel: Ich weiss, mein Erlöser lebt.
Hiob 19, 25.
Die Grabanlage ist dreiseitig mit Natursteinblöcken etwas über Geländehöhe eingefasst. Lediglich zum Hauptweg sind neben einer mittigen Schwelle rechts und links jeweils zwei Mauerblöcke nahezu kniehoch ausgeführt. Diese sind nach oben an den Kanten abgerundet.
Familie
Die Familie Haasen zählt zu den ältesten protestantischen Familien in Viersen. Ihre Vorfahren sind auf dem alten evangelischen Friedhof an der Hauptstraße beerdigt. Die Rotgerberei der Gebrüder Haasen wurde vor 1834 gegründet. Sie betrieben zusätzlich eine Lohmühle, in denen die für die Lohgerberei notwendigen pflanzlichen Gerbmittel zerkleinert wurden. Einer der beiden Eigentümer war Johann Wilhelm Heinrich Haasen (*1799 in Viersen – +1873 in Viersen). Seine Witwe Maria Gertrude Haasen, geborene Dohr (* 1799 in Viersen - +1885 in Viersen) war die Bauherrin des neuen Wohnhauses, Gladbacher Straße 34 auf dem Firmengelände. Ihr Sohn und Firmeninhaber Friedrich Wilhelm Haasen (*1820 in Viersen - +1896 in Viersen) ist wie viele protestantische Industrielle im Verzeichnis der Aktionäre im Jahr 1861 für die Errichtung eines Gesellschaftslokals in Viersen – Gesellschaft Casino - gelistet. Nach seinem Tod wurde für die Familie Haasen eine Grabanlage auf dem Friedhof Löh angelegt. Sein Sohn Johann Peter Haasen (*1862 in Viersen - +1920 in Viersen) übernimmt die Gerberei und veranlasst die baulichen Erweiterungen der Villa. Er ist auch Bauherr im Jahr 1912 für das repräsentative Wohn- und Geschäftshaus Hauptstraße 141/141a, das er anstelle eines kleineren Hauses im ursprünglichen Eigentum der Gebrüder Haasen errichten ließ.
Steinmetz
Der Stein ist unten rechts signiert:
W. Sommer
Wilhelm Sommer wurde am 29.04.1852 in Krefeld-Linn geboren. In den 1870er Jahren ließ er sich als Stein- und Bildhauer in Viersen nieder. Mit der Errichtung seines Wohnhauses nebst Werkstattgebäude und „Ausstellungsraum für Grabdenkmäler“ in einer Freifläche in unmittelbarer Nähe des Friedhofs Löh avancierte Wilhelm Sommer zum prominentesten Vertreter unter den ortsansässigen Steinmetzbetrieben. In Anzeigen warb er für seine Spezialität: Grabdenkmäler, mit billigsten Bezugsquellen und großer Ausstellung von Grabsteinen. Auf seinem Firmenbriefkopf ist zum einen seine Schleiferei und Sandstrahlbläserei mit Dampfbetrieb in Mönchengladbach dargestellt, die Glasfirmenschilder in allen Ausführungen fertigt, zum anderen der Steinmetzbetrieb in Viersen, der eigenen Entwürfe anpreist und die große Auswahl an Grabdenkmälern in Granit, Syenit, Marmor und Sandstein. Aus seiner Werkstatt stammen denkmalgeschützte Objekte u.a. Mönchengladbach-Venn (Friedhofskreuz, 1885), Süchteln (Wegekreuz/Ehrenmal Rheinstraße), Brüggen (Jüdischer Friedhof) oder Brüggen-Heidhausen (Wegekreuz). Qualitätsvolle Grabstätten für die Mitglieder der eigenen Familien (Familien Wilhelm Sommer und Heinrich Sommer) befinden sich auf dem Löhfriedhof. Wilhelm Sommer starb am 26.12.1922 in Viersen.
Denkmalwert
Die Familiengrabstätte ist typisch für den repräsentativen Anspruch des damaligen Bürgertums. Mit Anlegung des neuen Friedhofs auf der Löh spiegelte sich auch in der Ausgestaltung der Grabstätte die gesellschaftliche Stellung in den Familiengräbern nieder, eine typische Entwicklung der Sepulkralkultur des 19. Jahrhunderts. Während die weniger Bemittelten in einem Reihengrab, meist schmucklos und räumlich getrennt, bestattet wurden, erwarben sich die gehobenen bürgerlichen Kreise Familienwahlgräber. Sie zierten ihre Gräber mit aufwendigen Denkmälern und schmückten ihre Grabkeller aus. Die protestantische Prägung ist durch den Verzicht auf monumentale Grabfiguren zu erkennen. Dafür findet sich ein Bibelzitat, wie sie häufig auf protestantischen Grabsteinen zu lesen sind.
Als Grablege einer in Viersen bekannten Unternehmerfamilie und Zeugnis der Viersener Stadt- und Wirtschaftsgeschichte ist die Grabanlage bedeutend für Städte und Siedlungen, hier die Stadt Viersen.
Die Familiengrabstätte ist typisch für den repräsentativen Anspruch des damaligen Bürgertums ist. Die errichtete monumentale Grabstele zeigt sich in der für die Jahrhundertwende typischen, in Material und Ornament modifizierten Form der ursprünglich schlichten, klassizistischen Stele. Mit der Forderung nach repräsentativer Massivität werden die Grabstelen sowohl breiter als auch höher. Verschiedene Abstufungen teilen die Flächen auf. Während auf zeitgenössischen Grabstelen häufig Reliefs als Ornamentik zu finden sind, wird der Grabstein die Familie Haasen nur durch die Schrift, abgestuft in verschiedenen Schriftgrößen, geprägt. Er gehört damit in der Grabreihe mit anderen protestantischen Familiengrabstätten zu den schlichtesten
Aus künstlerischen und wissenschaftlichen, insbesondere sepulkralgeschichtlichen und lokalhistorischen Gründen liegen Erhaltung und Nutzung der Grabanlage der Familie Haasen gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz im öffentlichen Interesse.
Literatur
- F.W. Lohmann: Geschichte der Stadt Viersen. Viersen 1913
· Karl L. Mackes: „Die gewerblich-industrielle Entwicklung“ in: Verein für Heimatpflege e.V. (Hrsg.): „Viersen – Beiträge zu einer Stadt“ Band 5, Viersen 1983
· Arie Nabrings/ Astrid Opitz: „Der evangelische Friedhof in Viersen“, Viersen 1990
· Norbert Fischer: „Vom Gottesacker zum Krematorium – Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert“, Überarbeitete Fassung der Dissertation an der Universität Hamburg, 1995
Stand
Fachbereich 63 - Untere Denkmalbehörde
Viersen, den 15.03.2024