Wohnhaus des Totengräbers

Baudenkmal Details
Listenart städtische Denkmäler
Listennummer 544
Baujahr Ende 19. Jahrhundet/1920er Jahre
Eingetragen seit 09.07.2021
Flur / Flurstück 102/873
Adresse
Petersstraße 86
Viersen

Beschreibung

Darstellung der wesentlichen charakteristischen Merkmale
Das Haus Petersstraße 86 befindet sich unmittelbar neben dem durch eine neugotische Portalarchitektur ausgezeichneten nördlichen Eingang zum Löhfriedhof. Errichtet wurde es ursprünglich Ende des 19. Jahrhunderts, als Wohnhaus (Dienstwohnung) des „Totengräbers“, später des Friedhofaufsehers. Seine heutige Größe und Gestalt erhielt das Haus dann durch eine Erweiterung, wahrscheinlich in den 1920er Jahren.

Es handelt sich um ein zweigeschossiges Gebäude mit Walmdach, mit leicht L-förmigem Hauptbaukörper (Straßenfront ca. 12 m breit, ca. 10 m bzw. 7 m tief), an den hinten ein eingeschossiger Anbau angeschoben ist. Es besitzt oberhalb des Sockels eine fein gestaltete Putzfassade, die offensichtlich an klassizistische bzw. biedermeierliche Vorbilder des frühen 19. Jahrhunderts angelehnt ist.

An dem breit gelagerten Baukörper betonen mehrere profilierte Gesimse die Horizontale: Sohlbankgesimse in Erd- und Obergschoss; Geschossgesims; breite Traufzone oberhalb der Obergeschoss-Fensterstürze. Starke vertikale Akzente bilden dagegen Lisenen, die durch Quaderung sowie angedeutete Sockelbasis und Kapitelle pilasterartig ausgebildet sind. An den rückwärtigen Ecken sind die Lisenen zum Teil mit etwas Abstand gedoppelt, außerdem begrenzen sie vorn den Eingang, der mit profilierter Rahmung mittig in der dreiachsigen Front eingenischt ist und von einem vegetabilen Keilstein sowie einem Schmuckfries mit ebenfalls vegetabilen Motiven bekrönt wird. Die hochrechteckigen segmentbogigen Fenster besitzen flache Putzrahmungen mit Eckbetonungen („Ohren“) und einfachen Keilsteinen im Sturz. Haustür und zweiflüglige Holzfenster mit T-Teilung und alten Beschlägen sind erhalten.

Diese Außengliederung ist im Prinzip allseitig um das Haus herumgezogen, am vollständigsten auf der stadtseitigen, zweiachsigen Schmalseite, wohingegen die Friedhofseite fensterlos ist. Auf der Rückseite erkennt man die L-Form des zweigeschossigen Hauptbaukörpers, da die friedhofseitige Haushälfte nur einraumtief ist. Zum Garten hin befindet sich zudem ein eingeschossiger, um die Ecke des Hauptbaukörpers gezogener Anbau mit flachem Pultdach. Dieser sowie der in der Ansicht rechte Teil des Baukörpers zeigen auch – auf den ersten Blick ungewöhnlich, aber aus der Baugeschichte zu erklären – lediglich geschlämmte Backsteinsichtflächen mit einfachen Klötzchenfriesen als Geschoss- und Trauffries. Die Fenster der Rückseite haben keine Rahmung. Ein kleineres Format in der Mittelachse markiert das dahinter befindliche Treppenhaus.

Das Innere des Hauses ist geprägt von einem typischen Mittelflurgrundriss, mit Treppenhaus an der Rückseite. Die historische Holztreppe mit Geländer und Geländerstäben ist im Grunde erhalten. Bemerkenswert ist vor allem der annähernd vollständige Erhalt der Fenster des frühen 20. Jahrhunderts, zum Teil mit Innenläden. Im rückwärtigen Anbau sind Schmuckfliesen als Bodenbelag verwendet.

Denkmalwert
Das Wohnhaus Petersstraße 86, die ehemalige Dienstwohnung des Totengräbers, später Friedhofaufsehers, des städtischen Hauptfriedhofs (Löhfriedhof), ist im Sinne des Denkmalschutzgesetzes NRW bedeutend für Städte und Siedlungen, hier die Stadt Viersen. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse.

Das Haus ist ein anschauliches, vor allem außen qualitätvoll gestaltetes Zeugnis der Architektur des späten 19./ frühen 20. Jahrhunderts in Viersen, hier insbesondere des öffentlichen Bauwesens der Stadt selbst, mit einer zudem ungewöhnlichen Baugeschichte, die im Bestand deutlich wird.

Eine historische Bauakte ist derzeit nicht auffindbar. Ausweislich zeitgenössischer Karten wurde das Haus Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, wahrscheinlich in den 1890er Jahren und im Zusammenhang mit dem damaligen Ausbau des Friedhofes, in dessen Zuge u.a. auch 1891 bzw. 1895 die beiden neogotischen Portale gebaut wurden. 1895 ist im Adressbuch der Stadt der „Totengräber“ R. Daniels als Bewohner des Hauses verzeichnet. Soweit in den Stadtplänen erkennbar, handelte es sich da allerdings noch um ein weniger breites als tiefes Gebäude, das erst später zu seiner heutigen, breit gelagerten Form ausgebaut wurde. Aufgrund eines „September 1925“ datierten Planes des Stadtbauamtes geschah dies wohl Mitte der 1920er Jahre. Demnach wurde das Haus dabei um den Raum rechts des Eingangs erweitert. Sehr wahrscheinlich erhielt es in diesem Zuge auch die heutige, klassizistisch-biedermeierlich anmutende einheitliche Außengestaltung und die heute noch einheitlichen Fenster, was auf den ersten Blick stilistisch zwar etwas anachronistisch wirkt, aber die lange Vorbildwirkung dieser um 1910 sehr populären Stilrichtung belegt. Für die denkbare Alternative, dass der datierte, aber als Kopie nicht unterzeichnete Plan einen älteren Umbau widergeben könnte, gibt es dagegen keinen Beleg, zumal das Haus noch bis zum Zweiten Weltkrieg auf Stadtplänen noch tief-rechteckig dargestellt ist. Ein Foto von 1930 zeigt es aber schon im heute noch vorhandenen Ausbaustand (Viersen im Wandel der Zeiten, Seite 446).

Einen Hinweis auf das wohl ursprüngliche Aussehen des Gebäudes gibt die Rückseite des Hauses mit ihrer abweichenden Gestaltung (geschlämmter Backstein, Klötzchenfriese). Demnach dürfte das Haus zunächst backsteinsichtig mit einer zeitüblichen einfachen Lisenen-/Friesgliederung gewesen sein, und damit stilistisch auch mehr der etwa zeitgleich entstandenen, unmittelbar benachbarten Portalarchitektur des Friedhofs entsprochen haben. Der nachträgliche Ausbau führte dann auch zu der heute etwas ungewöhnliche Lage des Hauses teilweise auf dem Friedhofgelände, weil das ursprüngliche Grundstück hierfür nicht ausreichte.

Auch noch 1925 und 1936 ist in den Adressbüchern der Friedhofaufseher, jetzt H. Nieting, als Bewohner des Hauses verzeichnet. Es war damit also nicht nur lagemäßig, sondern auch funktional lange Jahre ein Bestandteil der Friedhofanlage und ihrer notwendigen Infrastruktur. Die Anlage einer solchen Dienstwohnung zeugt auch von der Größe des Löhfriedhofes, seinem professionalisierten Betrieb und dem ihm zu Teil gewordenen Gestaltungsanspruch in seiner Ausbauphase in den 1890er Jahren, als er nach der Erstanlage 1867 durch die Einbeziehung weiterer Pfarreien und Konfessionen die heute noch erkennbare Größe und einen repräsentativen baulichen Charakter erhielt. Dies macht ihn heute noch, in Verbindung mit seinen zahlreichen wertvollen Grabmalen, zu einer der bedeutendsten historischen Friedhofanlagen der Region.

Gerade auch im Wandel der Gestaltungsweisen ist das Wohnhaus Petersstraße 86 außerdem ein prägnantes Zeugnis der Architekturgeschichte seiner Entstehungszeit, Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts. Als städtisches Gebäude vermittelt es insbesondere einen Eindruck von der „offiziellen“ Baukultur der Stadt und ihres Bauamtes. Die anzunehmende Neugestaltung der Fassade in den 1920er Jahren, obwohl funktional nicht notwendig, wirft darüber hinaus ein Schlaglicht auf den eher konservativen Stil des städtischen Bauamtes, im Kontext einer damals verbreitet zu beobachtenden Tendenz, auch noch relativ junge Gebäude zu „ent-historisieren“, sei es durch eine „moderne“ („sachliche“, „expressionistische“) Gestaltung oder, wie hier, nach dem älteren Vorbild von Klassizismus oder Biedermeier (einer Gestaltung wie „um 1800“, so ein zeitgenössisch verbreitetes Schlagwort).

Das Haus ist im Wesentlichen hinsichtlich der beschriebenen charakteristischen Merkmale gut und anschaulich erhalten. Es veranschaulicht wichtige Sachverhalte und Entwicklungen der Architektur- und Ortsgeschichte und ist geeignet, der wissenschaftlichen Forschung zu den beschriebenen Aspekten als Quelle zu dienen. Der hier relevante Zeitraum ist dabei von besonderer Bedeutung für die Ortsgeschichte, bildet er doch eine zentrale Phase der modernen Viersener Stadt- und Baugeschichte, in der sich vor dem Hintergrund der industriellen Entwicklung das heutige Stadtbild in noch heute prägenden Zügen entwickelt hat. Entsprechende Würdigung hat diese Zeit in der stadtgeschichtlichen Forschung bereits gefunden; allerdings ist die denkmalpflegerische und historische Aufarbeitung des Löhfriedhofs noch ein Desiderat, zu der die Sicherung des Hauses des Totengräbers/ Friedhofaufsehers einen Beitrag leistet.

Das Haus besitzt daneben auch eine städtebauliche Bedeutung, als Teil des Gesamtzusammenhangs Löhfriedhof und vor allem im Ensemble mit dem Friedhofsportal, mit dem zusammen es einen prägnanten Blickpunkt in der Annäherung und beim Betreten des Friedhofs von der Stadt aus bildet.

Quellen und Literatur (Auswahl):

-  Materialsammlung Stadt Viersen, Untere Denkmalbehörde und Stadtarchiv Viersen im Kreisarchiv Viersen (u.a. Kartensammlung Nr. 1940, Nr. 319, Adressbücher)

-  Verein für Heimatpflege (Hg.): Viersen im Wandel der Zeiten (= Viersen – Beiträge zu einer Stadt), 2018, Seite 446

-  Viersen. Auf dem Weg zur Stadt, Viersen im 19. Jahrhundert. 1983

-  Zum Löhfriedhof grundlegend: F.W. Lohmann: Geschichte der Stadt Viersen. 1913, Seite 868f.

Stand
27.05.2021