Listenart | religiöse Denkmäler |
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Listennummer | 456 |
Baujahr | 1608/Ende 19. Jahrhundert |
Eingetragen seit | 06.07.2004 |
Flur / Flurstück | 55/249 |
Adresse |
Merianstraße
41749 Viersen |
Beschreibung
Nach Anfängen im 16. Jahrhundert sind für die Jahre 1608 und 1609 die ersten festen Einrichtungen einer evangelischen (reformierten) Gemeinde in Süchteln belegt. Die zuvor noch im verborgenen agierende Gemeinde konnte ab 1609 Gottesdienste mit einem eigenen Pfarrer abhalten, anfangs meist heimlich in Privathäusern, ab 1669 dann in der Kirche an der heutigen Hindenburgstraße. Bereits ein Jahr zuvor, 1608, wurde an einem Weg außerhalb der Stadtmauern, der heutigen Merianstraße, ein Friedhof angelegt. Der schmale Landstreifen wurde vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts um ein hinteres, etwas breiteres Grundstück vergrößert. Die Anlage ist von einer Backsteinmauer eingefasst. Auf dem Friedhof befinden sich noch zahlreiche historische Grabplatten und Stelen aus dem 17., frühen 20. Jahrhundert, meist aus Sand- oder Blaustein gearbeitet. Einige ältere Monumente sind relativ stark verwittert, so dass sie nicht mehr eindeutig einzelnen Personen oder Entstehungszeiten zuzuordnen sind. Auf jeden Fall aber finden sich einige der bedeutenden Namen frühen evangelischen Gemeindelebens und auch der Süchtelner (und Oedter) Wirtschaftsgeschichte.
Die ältesten Stücke sind heute im vorderen Bereich, der im wesentlichen bereits zu einer schlichten Grünanlage umgestaltet ist, konzentriert, doch sind auch im hinteren, jüngeren Abschnitt einige erhaltenswerte historische Grabstätten aus dem späten 19. / frühen 20. Jahrhundert vorhanden. Den Übergang zwischen beiden Teilen markiert das wohl um 1900 entstandene Mausoleum der Familie Freudenberg.
Die historisch bedeutenden Grabsteine sind im folgenden summarisch beschrieben. Im übrigen wird auf die Fotodokumentation verwiesen. Die Reihenfolge orientiert sich an der heutigen Aufstellung.
Vom Eingang aus rechter Grünstreifen
- Deussen / Duyn
Drei liegende Grabplatten auf kissenartigen Sockelsteinen, dahinter zwei antikisierende Stelen, die mittlere mit Doppelporträt-Medaillon, vermutlich aus der 1. Hälfte bzw. Mitte des 19. Jahrhunderts. Ursprünglich wohl zugehörig die gleich gestalteten Grabplatten von Ludwig u. Amalie Forsbeck (s.u.). Eine 1989 dokumentierte Inschrift auf der hohen Stele heute nicht mehr zu lesen: "Ruhestätte von Friedr. Wilh. Deussen geb. den ... Aug. 1765 gest. ... 18 ... und Anna ... Deussen geb. Vietzges ... 1778, gest. ... 1861". Auf der kleineren Stele ist im unteren Bereich ein Relief des Auges Gottes in halbrunder Blende ausgearbeitet.
Friedrich Wilhelm Deussen, Großvater des gleichnamigen Fabrikanten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, war einer der ersten Samtweberei-Unternehmer in Süchteln.
- Neuss
In die Umfassungsmauer eingefügter gequaderter Hintergrund mit flachem Dreieckgiebel, davor eine Marmortafel in ädikulaartigem Rahmen mit eingezogenem Rundbogen und Akroterien, 1890er Jahre.
- Leuken
Vier schlichte kleine Grabsteine auf Grottenstein-Sockeln. 2. Hälfte 19. / Anfang 20. Jahrhundert.
- Duhr
Wandtafel in ädikulaartigem Rahmen mit seitlichen Pilastern, darüber über Zahnschnitt und Eierstab ein flacher Dreieckgiebel mit üppigem pflanzlichen Ornament und Akroterienbekrönung; Ende 19. Jahrhundert.
Der auf der Inschrifttafel erwähnte Friedrich Wilhelm Duhr (1815-1886) war u.a. Mitinhaber der bedeutenden Weberei Ling & Duhr.
- Metzges / Zumbruch - Horn
In die Backsteinmauer integrierte breite, zweiteilige Wandplatte in Jugendstilformen, Anfang d. 20. Jahrhunderts. Rechts unter geschwungenem Giebel in Ädikula-Rahmung Inschriftplatte f. Friedrich Metzges, links zwischen zwei überhöhten Wandpfeilern in freier geschwungener Rahmung Inschriftplatte Zumbruch - Horn.
- Kauwertz
Kleiner schlichter Grabstein, Tafel in Grottenstein-Rahmung, 1933.
- Sieben-Dornbusch
Obelisken-Stele auf flachem Postament mit Inschriften, 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
- Klinker
Kleiner schlichter Grabstein auf rustiziertem Sockel, 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
- Benzenberg
Klassizistische Stele, nach oben leicht verjüngt, mit flachem Giebel und großen Eckakroterien, Mitte 19. Jahrhundert. Inschrift verblasst: "HIER RUHT JOHANN BENZENBERG SOHN VON EBERHARD BENZENBERG BEI KETTWIG GEB. DEN 17. JUNI 1716 GEST. DEN 4. MAI 1795 UND SEINE GATTIN CATRINE SIEBEN GEB. DEN 17. OCTOBER 1717 GEST. DEN 4. JANUAR 1784."
Johannes Benzenberg, Vater des Theologen Heinrich Benzenberg und Großvater von Johann Friedrich Benzenberg, Professor für Astronomie, war um 1740 evangelischer Lehrer in Süchteln.
- Kueppers
Obelisken-Stele auf Grottenstein-Postament, 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
- Forsbeck / Deussen
Drei liegende Grabplatten auf kissensteinartigen Sockeln, Ende 19. / Anfang 20. Jahrhundert, zugehörig der Gruppe Deussen - Duyn.
Vom Eingang aus linker Grünstreifen
- Girmes
Gruppe aus einer mittleren Stele in einfachen antikisierenden Formen mit stark fragmentierter Inschrift, flankiert von zwei kleinen Kissensteinen für Mathias Girmes (1815-1889) und Sybille Girmes geb. Sieben (1820-1895); 2. Hälfte 19. Jahrhundert.
- Tillen
Schlichter liegender Grabstein, 1896.
- 5 stehende Grabplatten (Huls, Zehres, Tillen u.a.)
Ensemble der ältesten erhaltenen Grabplatten aus Blaustein oder Basaltlava, 18. Jahrhundert und evtl. älter, mit stark verwitterten Inschriften. Überwiegend antikisierend gerahmte Doppelfelder mit geschweiften oder gerundeten Giebelbekrönungen. Bemerkenswert v.a.: Ruhestätte Huls, Grabplatte aus Blaustein (Höhe 1,45 m, Breite 0,94 m) mit undeutlich lesbarer Inschrift für Jakob Huls, gest. 1733 und Catarina Broex, gest. 1737, außerdem die Verse Hiob 19, 25 und Philipper 1, 21. In einer Wappenkartusche über den beiden Rundbögen sind Ranken und das flammende Herz dargestellt. Andere Platten u.a. für Adam Tillen (gest. 1748?) sowie Theis Zehres (gest. 1669) und Gritgen Zehres (gest. 1676). - Durchreibungen von Inschriften befinden sich im Archiv der UDB Viersen.
- Vitz
Einfaches dreiteiliges Grabmal aus Sandstein mit mittlerer überhöhter Stele, in deren Segmentgiebel ein Palmwedelrelief erhaben aufgebracht ist; im linken Teil Mäanderfries, rechter Teil verwittert, Anf. 20. Jahrhundert.
Zwischen den beiden Friedhofsteilen
- Freudenberg (Mausoleum)
Das Grabhaus der Familie Freudenberg steht ungefähr in der Mitte der Anlage. Die Fassade und die Seitenwände des Gebäudes sind mit polierten Steinplatten belegt, die Rückseite ist backsteinsichtig gehalten. An den Längsseiten befindet sich je ein Medaillon mit der Darstellung eines Engels, im Giebelfeld der Name in vergoldeten Buchstaben: "Familie Freudenberg". Doppelpilaster rahmen den Eingang, darüber Triglyphen und ein Dreiecksgiebel mit Eck- und Firstakroterien. Über der Eingangstür steht der Sinnspruch: "Per aspera ad astra." (Über rauhe Pfade zu den Sternen / Aus der Dunkelheit zum Licht).
Eine der ursprünglich zwei vor dem Eingang stehenden Opferschalen ist heute im Inneren des Grabhauses aufgestellt: Auf einer blattwerkverzierten Basis mit klassischem Wulst-Kehle-Wulst-Profil erhebt sich ein kannellierter Säulenschaft mit Halsring, der über einem vermittelnden Oktogon eine runde, ausladende Schale trägt. Zwei Löwenköpfe schmücken Vorder- und Rückseite, während die Griffe aus zwei ineinandergeschlungenen Schlangen bestehen (von einer ehemals vor-handenen zweiten existieren lediglich der Säulenfuß und ein Teil des Säulenschaftes).
Vor dem Grabhaus befindet sich eine mit niedrigem Ziergitter eingefasste Grabstätte, in deren Mitte sich eine schlichte Grabstele mit der Inschrift "Ruhestätte der Familie Freudenberg" erhebt; davor vier kleine, schlichte liegende Grabsteine.
Die Familie Freudenberg ist eine der Süchteln im 19. und 20. Jahrhundert prägenden Familien, als Industrielle v.a. im Textil- und später auch im Sandgewerbe. Prominente Vertreter sind Richard Freudenberg, zeitweise Bürgermeister, und u.a. auch Initiator des Anschlusses Süchtelns an das Eisenbahnnetz, und Carl Freudenberg, u.a. Bauherr der Villa Bong.
Im Erweiterungsteil an der linken Seite sind große, z.T. in die Wand integrierte, mehrteilige eingefasste Grabstätten des frühen 20. Jahrhunderts erwähnenswert: für Strommenger, Kauwertz, Girmes, Holthover-Hagenbroich. Aus historischen Gründen ist die Grabstätte Johannes u. Nissa Girmes hervorzuheben, bestehend aus einer hinteren Grabwand mit niedriger Einfassung aus poliertem schwarzen Marmor mit eingelegten kleinen kupfernen Medaillons, wahrscheinlich ein Entwurf des (verwandtschaftlich verbundenen) bekannten Krefelder Architekturbüros Girmes & Oediger. Die Inschrift im Giebel lautet: "LIEBE, TREUE, FLEISS UND STREBEN / WAR DEIN LEBEN", darunter: "JOHANNES GIRMES / KÖNIGL. KOMMERZIENRAT / 2. MÄRZ 1854 - 18. SEPTEMBER 1912 / NISSA GIRMES / GEB. BÜSCHER / 18. AUGUST 1875 - 2. FEBRUAR 1925".Johannes Girmes gründete 1879 in Oedt die später bedeutende gleichnamige Textilfirma, in die auch seine beiden Brüder August und Dietrich eintraten. Sie waren Söhne von Mathias Girmes, der einer alteingesessenen reformierten Krefelder Familie entstammte und 1850 die Oedterin Sybille Sieben, (adoptierte) Tochter des dortigen Holthoverhofes geheiratet hatte (vgl. die Grabstätten Mathias Girmes und Holthover). - Die kleine evangelische Gemeinde Oedt (mit Hagen) war bis 1961 eine Tochtergemeinde von Süchteln.
Der evangelische Friedhof an der Merianstraße stammt aus der Frühzeit evangelisch-refomierter Religionsausübung in Süchteln. Seine Lage außerhalb der Stadt ist charakteristisch für die Situation früher evangelischer Gemeinden innerhalb ihres katholisch geprägten Umfeldes und markiert hier in Süchteln eine mit annähernd 400 Jahren selten lange kontinuierliche Nutzung. Der historische Zeugnis- und Denkmalwert manifestiert sich daher nicht allein in den einzelnen Grabstätten, sondern im gesamten Friedhof als Einheit von Grabmonumenten, Fläche und Umfassungsmauer. Der Friedhof ist daher insgesamt ein Baudenkmal im Sinne des Denkmalschutzgesetzes.
Auf dem Friedhof befindet sich noch eine hohe Zahl historischer Grabsteine des 17./18.- frühen 20. Jahrhunderts, die über ihr Alter hinaus teilweise auch künstlerische Züge aufweisen, worin sicher auch die große Bedeutung einiger evangelischer Familien im Industrialisierungsprozess Süchtelns zum Ausdruck kommt (z.B. Deussen, Duhr, Freudenberg). Eine Besonderheit stellen außerdem die Grabstätten der Familie Girmes aus Oedt dar, zum einen wegen des überörtlichen Bekanntheitsgrades dieser bedeutenden Unternehmerfamilie und weil ihr Grabmal von einem bekannten Architekturbüro entworfen wurde, zum anderen als Zeugnis der langjährigen Zusammengehörigkeit der evangelischen Gemeinden der beiden Orte.
Der evangelische Friedhof an der Merianstraße ist aus den dargelegten Gründen bedeutend für Viersen. An seiner Erhaltung besteht aus künstlerischen und wissenschaftlichen, insbesondere orts- und religionsgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz um ein Baudenkmal.
Literatur
Karl Schoss: Die evangelische Gemeinde. In. Süchteln 1558-1958, Süchteln 1958, Seite 151-155.
Bruno Schmidt: Stadt im Grünen. Die Siedlungs- und Entwicklungsgeschichte Süchtelns, Viersen 1999.
Eva Brües: Die Denkmäler der ehemaligen Stadt Süchteln, Teil 2: Die profanen Denkmäler. In: Heimatbuch des Kreises Viersen 1979, Seite 33-59.
Johannes Lipp: Kommerzienrat Johannes Girmes (1854-1912). In: Heimatbuch des Kreises Viersen 1979, Seite 201-208.
Hans-Peter Schwanke: Das Werk der Krefelder Architekten Girmes & Oediger. Krefeld 1987.
Im Auftrag
Dr. Marco Kieser
01.12.2003