Listenart | industrielle Denkmäler |
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Listennummer | 300 |
Baujahr | 1901/1922 |
Eingetragen seit | 05.06.1992 |
Flur / Flurstück | 156/45, 59, 67 |
Adresse |
Viktoriastraße 13
41747 Viersen |
Geschichte
Die unter 1. folgenden Angaben beruhen auf freundlichen Mitteilungen des Stadtarchives bzw. der Unteren Denkmalbehörde Viersen.
Am 15.7.1890 gründet Friedrich Schelkes eine "Mechanische Buntweberei". Mit dem Teilhaber Reinhard Nottberg leitet er die Firma sechs Jahre lang und gründet dann mit Unternehmer Brand die "Viersener Buntweberei". Ab 31.8.1896 wird die Firma Nottberg & Schelkes in "Nottberg & Sohn" umbenannt, mit Reinhard und Adolf Nottberg als Teilhaber. Mitte März 1897 geht die neue Firma in Betrieb.
Laut Ausweis der Bauakte errichtet der Krefelder Architekt Joh. Reck für die Firma Nottberg & Sohn ab Anfang 1900 eine neue "Mechanische Buntweberei" an der Viersener Viktoriastraße. Der am 18.1.1900 eingereichte Bauantrag wird bereits am 3.2.1900 genehmigt, am 17.7.1900 ist die Rohbauabnahme. Die Betriebsaufnahme erfolgt vermutlich im Jahre 1901.
Laut Planung handelt es sich um eine Weberei für 108 Webstühle nebst zugehörigem Kessel- und Maschinenhaus, Vorbereitungssaal, Wiegekammer, Pflückraum, Dublierraum, Schlichterei, Abort-, Wasch- und Essräumen sowie Lager-, Comptoir- und Wohngebäude. Ab 1906 firmiert "Kohlstedt & Crone", "Duisburger Buntweberei" als Eigentümer, der - wohl nach dem II. Weltkrieg - von der "Seidenweberei Friedrich Wilhelm Greef" abgelöst wird; von der der jetzige Eigentümer Joh. Gehlen das Anwesen erwirbt.
Beschreibung
Der heutige Baubestand der Weberei zwischen der Viersener Freiheits- und Viktoriastraße entstand in zwei einheitlichen Baumaßnahmen 1900/1901 und 1922, wobei dem zweiten Bauabschnitt etwas geringere Bedeutung zukommt. Beide Planungen sind - einige Vereinfachungen aus Ersparnisgründen ausgenommen - ohne Abstriche verwirklicht worden und haben bislang keine wesentlichen Veränderungen erfahren.
Die Front an der Viktoriastraße wird bestimmt durch die rhythmische Felderteilung des Shedhallenbereiches der Weberei, dem straßenseitig eine im Bereich der Erweiterung undurchfensterte, im Bereich des Baues von 1900/1901 fünffach durch Lisenen geteilte, durch Fenster belichtete Lagerraumwand vorgeblendet ist. Die höhergezogene Außenwand verbirgt nach der Manier der Zeit die sägezahnartige Dachgestalt der Shedhallen durch eine Attikazone. Den 1900/1901 errichteten Bauteil kennzeichnet eine außergewöhnlich reiche Gestaltung: Lisenen, Neben- und Hauptgesims sind durch hellfarbig rote Backsteine vom dunkleren Grund abgesetzt. Das Hauptgesims wird von dreipaßähnlichen Formsteinen in gotisierender Dreiecksanordnung gebildet. In den hellen Grund eingelassene Backsteinmotive ebenso wie dunkle Ornamente auf hellem Grund verstärken den Eindruck einer auf die Hauptansichtsseite der Fabrik (Viktoriastraße) ausgerichteten repräsentativen Gestaltung.
Südlich an die Sheddachzone anschließend erhebt sich über dem durchgezogenen Grundgeschoss das zweieinhalbgeschossige Comptoir- und Wohngebäude. Hellere Lisenen und Gesimse - auch hier wieder gotisierend - gliedern den dreiachsigen Bau. Das mit spitzbogigen Blendmotiven verzierte Giebelhaus wird flankiert von zwei kleineren, ebenfalls reichgezierten Dachgauben. Die Südfront seitlich zur Werkseinfahrt springt nach einer dreiecksübergiebelten Achse zurück. Es folgen die Eingangs- sowie eine von Ochsenaugen durchfensterte weitere Achse. Auch das über den rückwärtigen Anbau hinausragende Obergeschoss des Wohngebäudes ist in einer der Hauptansichtsseite in nichts nachstehenden Aufwendigkeit gehalten. An der ost-westlich verlaufenden Erschließungsstraße folgt ein eingeschossiger Flachbau für die Wasch-, Ess- und Abortanlagen. Er springt nach drei Achsen rechtwinklig, nach einer weiteren Achse mit Viertelkreisprofil vor, um nach weiteren, den Werkseingang für die Arbeiter umfassenden drei Achsen erneut in zwei Stufungen zurückzutreten. Nach den letzten zwei Achsen (alle zehn Achsen sind mit Stichbogenfenstern bzw. der Toranlage durchbrochen) springt dann das ebenfalls ost-westlich verlaufende längsrechteckige Kesselhaus nach Süden vor. Parallel ist diesem auf der nördlichen Längsseite das Maschinenhaus angebaut. Beide verfügen über firstüberspannende Lüfteraufsätze, der des Maschinenhauses kurzer als der Aufsatz des Kesselhauses. Die Stirnwände beider Bauten schmücken Rauten- und Dreiecksfelder. Letzteren sind Stufenmotive einbeschrieben. Alle eingetieften Schmuckfelder weisen klötzchenfriesartige Zierate aus hellen Backsteinen auf dunklem Grund auf. Die äußeren Längswände der Doppelanlage sind durchfenstert.
Im Westen des Kesselhausteiles folgt freistehend der quadratische Schornsteinsockel, der über einer oktogonalen Übergangszone in den zylindrischen Schornsteinschaft übergeht. Sockel- und Gesim-szone sind ebenfalls mit Treppenfriesen in hellem Backstein geziert, der Schornstein selbst weist am unteren und oberen Ende flächig-dreieckig, quasi textile, hellrote Schmuckmotive auf.
Die heutige Front zur Freiheitsstraße zeigt offen die Sheddachprofile. Die Wandflächen sind hier stufenförmig gegliedert und tragen Ornamentschmuck in hellem Backstein.
Nach drei Shedstaffeln folgt im Norden die 1922 angefügte Erweiterungszone, die sowohl zur Freiheits- als auch zur Viktoriastraße hin horizontale Dachabschlüsse zeigt. Die vierteilige Ansicht zur Viktoriastraße ist nicht durchfenstert und weist eine mit flachen Lisenen und Gesimsen gebildete einfache Gliederung auf.
Im Inneren der Gebäude ist, was das Wohn- und Comptoirgebäude anbelangt, die originale Fensterausstattung hervorzuheben. Der drei Shedzüge umfassende Websaal von 1900/1901 zeigt drei zehn Stützen umfassende Folgen von Gußeisenpfeilern, die vier Sheddachstaffeln der Erweiterung von 1922 haben genietete Stahlprofilstützen. Maschinell-technische Einrichtungen wie Transmissionen, Dampfmaschinen oder Webstühle sind nicht erhalten.
Bewertung
Bei der unter Il aufgeführten Anlage der ehemaligen Buntweberei Nottberg & Sohn von 1900/1901 mit dem Erweiterungsbau von 1922 für die Duisburger Buntweberei Kohlstedt & Crone handelt es sich im beschriebenen Umfange um ein Denkmal im Sinne des § 2 Abs. 1 Denkmalschutzgesetz NRW. Die Anlage ist bedeutend für die Städte und Siedlungen und für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Für Erhaltung und Nutzung liegen künstlerische, wissenschaftliche und städtebauliche Gründe vor.
Der Erhaltungszustand der Gesamtanlage ist als außergewöhnlich zu bezeichnen. Die ursprüngliche Baugestalt ist fast volkommem unbeeinträchtigt von Um- und Anbauten geblieben, ein für Bauten des Gewerbes und der Industrie höchst seltener Fall. Die 1922 vorgenommene Erweiterung fügt sich unter Nutzung der fortgeschrittenen technischen Errungenschaften (Stahlprofil- statt Gußstützen) in Gestaltung und Gliederung nahtlos an den ursprünglichen Bau an. Insbesondere die Firmenansicht von der Viktoriastraße aus bietet hoch heute die Wahrnehmungsmöglichkeit einer kleinen, für Viersen einst charakteristischen Textilfabrik mit dem eingeschossigen Websaal hinter repräsentativer Straßenfront nebst Verwaltungs- und Wohngebäude. Von der Freiheitsstraße aus sind dann die übrigen typischen Elemente eines derartigen Betriebes ohne Mühe wahrnehmbar: Kessel- und Maschinenhaus samt zugehörigem Schornstein sowie die hier funktional-unverhüllt (ursprünglich auf einen Nebenweg weisend) behandelte Shedfront.
Hervorzuheben ist am gesamten Komplex die weit über dem Durchschnitt liegende Prächtigkeit der Baugestalt. Diese tritt nicht nur im reich ornamentierten Wechsel des Backsteinmaterials mit seinen flächigen und plastischen Schmuckmotiven (besonders auch am Schornstein) zutage. Der Haupteingang des Werkes an der Südseite ist vielmehr in seltener Weise in einer nahezu neobarock zu nennenden Grundrissgestalt ausgebildet, wie sie in dieser Form nicht häufig anzutreffen ist. Die Südseite ist in einer der Ostfront an der Viktoriastraße nicht nachstehenden Art und Weise als vollgültige Ansichtseite behandelt worden. Die ehemalige Buntweberei Nottberg & Sohn ist damit in exemplarischer Weise Denkmal der strukturprägenden Textilindustrie Viersens in der Erscheinungsform der Jahrhundertwende. Zusammen mit der nahegelegenen fünfzig Jahre älteren Baumwollspinnerei Goeters in der Gereonstraße ist damit der wichtigste Industriezweig der Stadt in zwei wesentlichen wirtschaftsgeschichtlichen Epochen dokumentiert. Die Anlage zwischen Viktoriastraße und Freiheitsstraße charakterisiert dabei den in voller Blüte stehenden Historismus und Eklektizismus des Industriebaues der Jahrhundertwende mit ihrem Reichtum an neogotischen und neubarocken Elementen der Außenerscheinung, während die Disposition der einzelnen Werksteile - Krafterzeugung, Arbeitsflächen, Verwaltung und Wohnen - den Stand der Technologie der Zeit widerspiegelt. Dies gilt ebenso für die Erweiterung der 20er Jahre, die sich unter Verwendung modernerer Bautechnik gestalterisch der bestehenden Anlage anfügt. Reichtum der Erscheinungsform und nahezu originalgetreuer Erhaltungszustand neben dem Vorhandensein aller ursprünglichen Architekturelemente machen die ehemalige Buntweberei zu einem vollgültigen Industriedenkmal.
Im Auftrag
Axel Föhl
13.12.1991