Listenart | öffentliche Denkmäler |
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Listennummer | 373 |
Baujahr | 1912/1927/1937/1953 |
Eingetragen seit | 23.06.1999 |
Flur / Flurstück | 102/1225 |
Adresse |
Am Klosterweiher 40
41747 Viersen |
Geschichte
Die Pfarrgemeinde St. Joseph stellt 1912 den Bauantrag zur Errichtung einer Kleinkinderbewahrschule zur Unterbringung von besonders pflegebedürftigen Säuglingen. Architekt ist der Stadtbaumeister Mießen. In den Plänen ist ein zweigeschossiges Gebäude auf annähernd quadratischem Grundriss dargestellt: im heutigen Bauzustand wiederzufinden im dreiachsigen, zweigeschossigen Giebel und der linksseitigen Eingangsachse. Die rechts anschließende seitliche Achse ist eingeschossig und leitet zu dem schmaleren, hinter dem Vorgarten zurückliegenden Flügel über, der dann durch eine Abknickung wieder zur Strassenflucht hin vorgezogen ist. Die zwei zentralen Innenräume im Erdgeschoss werden als Klassenzimmer und Spielhalle genutzt.
1923 findet ein Grundstückstausch mit der Stadt Viersen statt: Die Kleinkinderbewahrschule wird verlegt und ein städtisches Säuglingsheim im Gebäude Am Klosterweiher 40 eingerichtet. Durch die Planung des Stadtbaurates Eugen Frielingsdorf für die Viersener Wohlfahrtsstiftung wird das Säuglingsheim durch einen Anbau vergrößert. Ein dreiachsiger, zweigeschossiger Erweiterungsbau wird links an den bestehenden zweigeschossigen Baukörper in angepasster Formensprache errichtet. Das Erdgeschoss liegt gegenüber dem Altbau erhöht, der Durchbruch erfolgt vom ersten Treppenabsatz aus, im Keller als Souterraingeschoss befindet sich eine Küche. Die zwei großen Räume im Erdgeschoss werden zu einem "Kinder-Kranken-Saal" mit Raumteilern zusammengefasst. Im Anbau werden zusätzliche kleinere Krankenzimmer, im Obergeschoss Wohn- und Schlafzimmer für Schwestern und Mädchen untergebracht. Der Vorgarten wird als Terrasse mit einer Brüstungsmauer zur Strasse hin abgeschlossen, zum Garten hin wird eine Glasveranda errichtet.
Der Ausbau des Dachgeschosses auf dem Krankensaalflügel erfolgt 1939 nach einer Planung des Viersener Architekten F.W. Söndgerath. Es werden vier zusätzliche Schlafkammern über dem Krankensaal errichtet und ein rückwärtiges Dachgaubenband mit vier Einzelfenstern aufgebracht.
Die bislang eingeschossigen Bauteile (Krankensaalflügel und Röntgen-/Untersuchungsraum) werden 1953 wieder nach den Plänen von F.W. Söndgerath um ein zweites und ein Dach-Geschoss aufgestockt. Im rechten Gebäudeteil wird ein zweites Treppenhaus eingebaut. Im Obergeschoss werden weitere Kranken-"Boxen" mit Mittelflur und durchgehendem Balkon über der Liegeterrasse und im Dachgeschoss Schwesternschlafräume errichtet. Im Erdgeschoss wird ein Durchbruch zum Nachbarhaus Am Klosterweiher 42 geschaffen.
Beschreibung
Das zweigeschossige Backsteingebäude mit steilen Satteldächern präsentiert sich in einheitlicher Formensprache, jedoch sind bei näherer Betrachtung farbige und formale Absetzungen im Mauerwerk erkennbar, die auf mehrere Bauphasen hinweisen. Zur Strasse hin ist die durch einen hohen Giebel aufgelockerte Traufenständigkeit des linken Hauptgebäudes, das Zurücktreten des mittleren Flügels hinter einer Terrasse und die Schrägstellung des rechten, wieder an die Strasse vorgezogenen kleinen Gebäudeteils baukörperprägend.
Ursprünglich (1912) ist das linke Hauptgebäude, jedoch nur die drei Achsen des Giebels und die links anschließende Eingangsachse. Die Giebelfassade wird geprägt durch schlanke, hochrechteckige, sprossengegliederte Kreuzstockfenster, die im Obergeschoss durch Natursteinbrüstungsfelder betont werden. Die kleinen Fenster im Giebel weisen keinen Kreuzstock auf. Der Eingang, flankiert von zwei kleinen Fensterchen, ist tief eingenischt, darüber wird er durch ein getrepptes Werksteinrelief und vegetabile Schmuckformen hervorgehoben. Ein Werksteingesims trennt Erd- und Obergeschoss.
Der linke, dreiachsige Anbau (1927/28) übernimmt im Obergeschoss bezüglich Fensterformat und Brüstungsfelder die Formen des Ursprungsbaus; im Erdgeschoss zeigen sich dagegen breite Schiebefenster mit nach oben zu schiebenden Scheiben unten. Unter diesen tritt im Gegensatz zum ursprünglichen Bau ein Sockelgeschoss mittels relativ großer Fensteröffnungen zur Belichtung der Küche zutage. Das ausgebaute Dachgeschoss wird nach vorne lediglich durch drei kleine, übergiebelte Dachgauben erkennbar, während es auf der Rückseite in der Ansicht ein zweites Vollgeschoss ausbildet. Das steile Satteldach ist mit dunklen (grau-anthrazit) Ziegeln gedeckt.
Die rechts des Ursprungsgiebels anstelle eines Eingangs entstandene Fensterachse (1937) weist das gleiche Fensterformat auf. Es fehlen jedoch im Obergeschoss die Werkstein-Brüstungsfelder. Im Erdgeschoss des seitlichen Giebels befindet sich ein dreiteiliges rundbogiges Fenster, das möglicherweise aus dem anschließenden zurückliegenden Flügel stammt und hier wiederverwertet ist. Die heute zur Terrasse sichtbaren hochrechteckigen Fenstertüren stammen nämlich ebenfalls aus dieser Umbauphase. Bei der Aufstockung dieses Traktes in den fünfziger Jahren wird über der Terrasse auf vorkragender dünner Betonplatte ein Balkon angebracht. Das ausgebaute Dachgeschoss darüber ist als Dachgaubenband mansardartig zwischen die beiden zur Strasse tretenden Baukörper gespannt und durch seine Verschieferung farblich den dunklen Flächen angepasst. Der rechte Gebäudeteil schließlich zeigt im Erdgeschoss mit den hochrechteckigen Kreuzstockfenstern und dem werksteinrelief-bekrönten Eingang noch Elemente des Ursprungsbaus; die Aufstockung ist in Proportion und Fensterausbildung in einfachen Formen der Nachkriegszeit gehalten. Die auf Backsteinunterbau befindliche Terrasse ist heute mit einem einfachen Metallzaun geschlossen, in den zwanziger Jahren ist hier eine ornamental gestaltete Brüstungsmauer angebracht worden.
Die Gartenseite des Gebäudes besitzt vor allem im Erdge-schoss noch originales Mauerwerk, Türen und Fenster, hier findet sich zum Teil der vorne noch in einem Beispiel vorhandene rundbogige Fenstertyp wieder. Vor das Erdgeschoss ist eine Glasüberdachung der ehemaligen Terrasse angebracht, die in den Garten überleitet. Ein Balkon befindet sich vor den ehemaligen Krankenzimmern des Mittelflügel-Obergeschosses.
Im Inneren ist das Gebäude entsprechend den An- und Umbauten der Bauchronologie ebenfalls mehrfach verändert, zahlreiche Grundstrukturen und Details seiner Nutzung sind jedoch erhalten und anschaulich geblieben. Erschlossen werden die Geschosse durch zwei Treppenhäuser: eine ursprüngliche Holztreppe im linken und eine Kunststeintreppe mit Metallgeländer der fünfziger Jahre im rechten Gebäudeteil. Die 1997 noch am Anlaufpfosten im Erdgeschoss befindliche Schlange ist nicht mehr vorhanden. Vom ersten Absatz des älteren Treppenhauses aus gelangt man durch einen Durchbruch in den 1927/28 hinzugefügten, im Erdgeschoss höher gelegenen Anbau. Zentraler Raumteil des Krankenhauses sind ehemals Schlafraum und Liegesaal, die sich im rückwärtigen Teil des linken Gebäudeteils und in dem zurückliegenden Mittelflügel befinden. Die ursprünglich großen, nicht unterteilten Räume der Kinderbewahranstalt werden zunächst durch Glaswände untergliedert, dann seit den dreißiger Jahren durch eingestellte Zwischenwände in "Isolierboxen" aufgeteilt, was in veränderten zeitgenössischen Einstellungen hinsichtlich der Unterbringung kranker Kinder begründet ist.
Heute erscheint der Grundriss durch die Büronutzung der letzten Jahre weiter verunklärt, er ist aber im Bestandsplan anhand der Darstellung der massiven Wände noch deutlich ablesbar. Zwei der als Raumteiler fungierenden historischen Leichtbauwände sind kasettiert bzw. mit Glasfenstern versehen. Charakteristisch ist ferner, dass die ehemaligen Liegesäle durch große Fenster(-türen) zur Terrasse bzw. zum Garten geöffnet sind. Das kleine Zimmer links neben der strassenseitigen Terrasse kommt erst durch den Umbau der dreißiger Jahre zustande. Ehemals ist seine Rückfront Aussenfassade und nimmt eine große doppelflügelige Tür auf, die direkt in die Liegesäle führt. Nach Schließung dieser Eingangslösung ist laut Plan ein Operationszimmer untergebracht. In diesem Zimmer, dessen neue Außenwand mit symmetrisch unter und neben dem Fenster angeordneten Wandschränken versehen ist, befindet sich auch das bekannte "Nikolausrelief" des Viersener Künstlers Heinz Peter Dreimüller, das entgegen anderen Darstellungen wohl nicht versetzt wird, sondern nur durch den Umbau von außen nach innen gelangt. Ausstattung und Erlebbarkeit eines historischen Raumes sind in diesem Zimmer noch in besonderen Maße gegeben; hierzu tragen das Fenster der dreißiger Jahre nach vorne und wohl des Ursprungsbau zur Seite bei.
Den linken Gebäudeteil kennzeichnet eine kleinteilige Raumaufteilung, da hier einzelne Behandlungszimmer, aber auch Einzel-Krankenräume und Aufenthalts- bzw. Personalräume nachweisbar sind. Das Obergeschoss des Mittelflügels hingegen zeigt wieder größere, ehemals durch Leichtbauwände unterteilte Räume für Krankensäle bzw. Isolierkabinen. Auch hier führen Fenstertüren nach draußen auf die Balkone. Im zur Strasse abgeknickten rechten Gebäude sind ehemals im Erdgeschoss ein Röntgenzimmer und im Obergeschoss ein Isolierzimmer angeordnet. Im heutigen Grundriss immer noch gut ablesbar ist der charakteristische, da die beengten Raumverhältnisse widerspiegelnde Mittelflur des Obergeschosses. Be-sonders bemerkenswert sind im Dachgeschoss darüber die kleinen Schlafzellen der Schwestern und Pfleger, die sich ebenfalls entlang eines Mittelflures aufreihen. Auf ihren Türen sind noch die Namen der Rauminhaber zu lesen. Insgesamt sind eine Vielzahl von Fenstern der 1910er bis 1930er Jahr mit originalen Beschlägen sowie originale Innentüren mit kassettierten Türblättern erhalten.
Bautyp
Eine bautypologische Einordnung des Gebäudes ist nur bedingt möglich, da es zunächst als "Kinderbewahranstalt", auch "Kinderbewahrschule" (vergleichbar in etwa den heutigen Kindergärten) errichtet und erst in den zwanziger Jahren zum Kinderkrankenhaus umgewidmet wird. Beiden Bautypen gemein ist neben ihrer Ausrichtung auf Kinder ihre Entstehung im 19. Jahrhundert, so dass es sich bei beiden um Bauaufgaben der Moderne und des Industriezeitalters handelt.
So hängt die Einrichtung von Kinderkrippen, -bewahranstalten, Kleinkinderschulen etc. eng mit der Industrialisierung zusammen, da die Kinder berufstätiger Eltern/Mütter, die sich keine private Betreuung leisten können, tagsüber untergebracht und versorgt werden müssen. Ebenso beginnt nach Vorläufern im 18. Jahrhundert etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Einrichtung eigener Kinderkrankenhäuser für Kinder bis 12, 14 oder 16 Jahre getrennt von den eigentlichen großen Krankenanstalten. Auch hier liegt es in der Natur der Sache, dass es sich dabei zunächst in erster Linie um Einrichtungen für mittellose Kreise handelt, die sich keine private ärztliche Versorgung leisten können. Die Anfänge werden zunächst auf privater Grundlage durch sozial engagierte Mediziner und Reformer geschaffen. 1897 kann das Handbuch der Architektur feststellen, dass vor allem in großen Städten eigene Kinderkrankenhäuser eingerichtet worden sind. Durch die Spezialisierung sollten die Kinder als noch besonders anfällige Patienten von den übrigen Kranken isoliert werden und diese zugleich vor den meist sehr ansteckenden Infektionskrankheiten der Kinder (z.B. Diphtherie, Scharlach, Keuchhusten, Masern) geschützt werden.
Im allgemeinen Krankenhausbau ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gekennzeichnet von einem Rückgang der während des 19. Jahrhunderts noch sehr fortschrittlichen und häufig verwendeten reinen Pavillonbauweise hin zu wieder stärkerer Konzentration der medizinischen Einrichtungen, da die Pavillonbauweise zum einen sehr kostspielig ist, zum anderen hinsichtlich ihrer positiven Eigenschaften (gute Isolierung und Freiluftanbindung) durch andere bauliche Maßnahmen ersetzt wird. Hierzu zählen die striktere Anordnung der Gebäude zur Sonne (d.h. z.B. bei Liegeräumen nach Süden) und die Integration von Terrassen, Veranden und Balkonen in Gebäude und Therapie. Genau diese Elemente zeigt auch das Kinderkrankenhaus in Viersen. Es zeugt daher mit seiner erhaltenen Terrasse des Ursprungsbaus, dem darüber befindlichen Balkon(en), aber auch mit der Einbindung eines rückwärtigen Gartens von aktuellen Tendenzen im Krankenhausbau seiner Zeit, die bereits in der ursprünglichen Kinderbewahranstalt angelegt und übernommen werden.
Denkmalwert
Als ehemalige Kinderbewahranstalt und dann Kinderkrankenhaus und damit als Zeugnis des (kirchlichen) Sozial- und Gesundheitsfürsorgewesens ist das Gebäude Am Klosterweiher 40 bedeutend für die Stadt Viersen. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht ein öffentliches Interesse aus wissenschaftlichen, insbesondere sozialgeschichtlichen und architekturgeschichtlichen Gründen. Erstere ergeben sich aus seinem Zeugniswert für das öffentliche Kinderfürsorgewesen in der Stadt Viersen, letztere aus seiner bautypologischen Stellung und aus seiner gestalterischen Eigenart und Qualität. Das Gebäude ist außen in sehr traditionalistischen, landschaftstypischen Formen und Materialien gehalten: Backstein, Satteldach, Sprossenfenster, sparsame Schmuckformen. Besonders bemerkenswert ist die Anpassung aller Um- und Erweiterungsbauten an den ursprünglichen Baukörper. So ist der Erweiterungsbau von Frielingsdorf nur durch das etwas hellere Steinmaterial vom "Altbau" zu unterscheiden. Sogar die besser identifizierbaren, etwas qualitätloseren Teile der fünfziger Jahre führen den ursprünglichen Formgedanken fort, wie z.B. die leichte Abschleppung des Satteldaches auf dem rechten Gebäudeteil. Gut gelöst wird die städtebauliche Einbindung des Gebäudes, das den Richtungswechsel der Strasse, die vor ihm eine leichte Kurve schreibt, durch die Zurücknahme des Mittelflügels und die vorgelagerte Terrasse überspielt bzw. vermittelt, so dass der rechte und der linke Gebäudeteil unterschiedlich ausgerichtet sind. Zum Zeitpunkt seiner grundlegenden Konzeption 1912/13 kann das Gebäude mit seinem antihistoristischen, sachlichen Traditionalismus gestalterisch als "auf der Höhe seiner Zeit" gelten, augenfällig insbesondere im Vergleich zum nur unwesentlich älteren Nachgebäude Am Klosterweiher 42 von 1905. Für die darauffolgenden Um- und Anbauten kann dieses nicht mehr gelten, was jedoch in deren Anpassung an den Ursprungsbau begründet ist. Die betreffenden Teile wirken dennoch nicht ungestalt oder anachronistisch, was die bis in die fünfziger Jahre hinein wirksame Kontinuität traditionalistischen Bauens, einer der wichtigen Strömungen der Archikturgeschichte des 20. Jahrhunderts, belegt. Der Außenbau bringt zudem jeweils verschiedene Funktionen der inneren Raumnutzung zum Ausdruck. Besonders deutlich wird dies an den Fenstertüren vor Terrasse und Balkon, die die dahinter liegenden Schlafsäle bzw. -räume kennzeichnen.
Das ehemalige Kinderkrankenhaus Am Klosterweiher 40 in Viersen ist bedeutend für die Stadt Viersen. Aus wissenschaftlichen, insbesondere sozial- und architekturgeschichtlichen Gründen liegen Erhaltung und Nutzung des Gebäudes Am Klosterweiher 40 gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetzes im öffentlichen Interesse.
Quelle
Akte Am Klosterweiher 40
FB 6/I Bauordnung
Literatur
Eugen Frielingsdorf (Hrsg.): "Viersen-Dülken-Süchteln", Berlin 1930
Oswald Kuhn: "Krankenhäuser", Handbuch der Architektur IV, 8,1:
"Gebäude für Heil- und sonstige Wohlfahrtsanstalten", Heft 1, Stuttgart 1897
Axel Hinrich Murken: "Vom Armenhospital zum Großklinikum.
Die Geschichte des Krankenhauses vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart", Köln 1988
Manuel Cuadra: "Der Kindergarten", Berlin 1996
Stand
FB 8/III Zentrale Bauverwaltung -Untere Denkmalbehörde-
Mai 1999