Kontorgebäude der Samt und Seidenweberei A. Weyermann Söhne

Baudenkmal Details
Listenart industrielle Denkmäler
Listennummer 549
Baujahr 1898/1964
Eingetragen seit 21.06.2022
Flur / Flurstück 2/928
Adresse
Albertstraße 1
Viersen

Darstellung der wesentlichen charakteristischen Merkmale
Das Gebäude Albertstraße 1/ Ecke Tilburger Straße ist das ehemalige Kontorgebäude (Büros und Lager) der Samt- und Seidenweberei A. Weyermann Söhne, die auf diesem Grundstück in den an das Kontor anschließenden Hallen ab 1898 produzierte. Am Rande des Grundstücks befanden sich südlich der Fabrik außerdem zwei Wohngebäude der Firmeneigner und ein Garagengebäude. Das Kontorgebäude gehört zu den 1898 an der damaligen Süchtelner Straße in Bahnhofsnähe errichteten Ursprungsgebäuden der Fabrik. Wie diese entstand es nach einem Plan des auf Bauten für die Textilindustrie spezialisierten Ingenieurs Carl Salzberger, der - soweit bislang bekannt – überregional tätig war und Büros in Burgsteinfurt (Münsterland) und in Krefeld unterhielt.

Es handelt sich um ein von den Straßen leicht zurück gesetztes, dreigeschossiges Eckgebäude mit der Langseite zur Tilburger Straße, damals die Ausfall- und Landstraße nach Süchteln, und einer Schmalseite zur Albertstraße. An beiden Seiten schlossen sich ursprünglich eingeschossige Bauten für Produktion, Anlieferung u.a. an, so dass das Kontorgebäude auch baulich eingebunden war in den Komplex, aus dem es gleichzeitig als „Hochbau“ herausragte. Es besitzt allseitig eine zeittypische Backstein-/Putzfassade, d.h. das rote Sichtbacksteinmauerwerk wird von weiß gestrichenen Gliederungselementen wie Fensterrahmen, Gesimsen und Eckbetonungen mit einfachen Mitteln wirkungsvoll akzentuiert. Ein verschiefertes Plateaudach (Mansardgeschoss mit flachem Abschluss darüber) mit dekorativ gestalteten kleinen Dachhäuschen (profilierte Rahmungen, Eckvoluten unten, Dreieckgiebel) schließt den Baukörper ab. Auf dem Dach befand sich ehemals in einem Schmuckgitter der Firmenschriftzug „A. Weyermann Söhne“.

Zwei Risalite mit Zwerchhausgiebeln variieren den rechteckigen Baukörper: ein schräg gestellter markant vorkragend auf der Ecke Tilburger Straße/ Albertstraße, der zweite flachere in der linken Achse der Langseite an der Tilburger Straße, dem selbst vor den beiden Obergeschossen ein dreiseitiger Erker, auf einer ornamentierten Konsole und mit abschließendem Austritt oben, aufgesetzt ist. Unter diesem Dreiseiterker befand sich im Erdgeschoss ursprünglich auch der Eingang, relativ unauffällig angeordnet neben einem gleichartigen zweiflügeligen Rundbogenfenster. Wohl seit einem Umbau der 1960er Jahre, als das Erdgeschoss der Schmalseite an der Albertstraße einschließlich des Eckrisalits neu gestaltet und mit einem neuen Eingang versehen wurde, ist er als optisch gleichartiges Rundbogenfenster geschlossen. Zwischen den beiden Risaliten ist die Fassade an der Langseite in vier breiten Achsen großzügig durchfenstert, so dass viel Licht in die Kontor- und Lagerräume fiel: in den beiden unteren Geschossen mit dreiteiligen Segmentbogenfenstern, im 2. Obergeschoss mit gedoppelten Rundbogenfenstern mit zusammen gleicher Breite. Keilsteine und Eckbetonungen akzentuieren die Fensterrahmen. An der zweiachsigen Schmalseite und in den beiden Risaliten sind die Fensterformate ebenfalls vielfach variiert, z.B. einige auch mit geraden Stürzen, und das ansonsten durchgängige Motiv der Rundbogenfenster im 2. Obergeschoss wird im Eingangsrisalit nicht übernommen, dort sind im 2. Obergeschoss gerade Stürze ausgeführt. In den Giebelgeschossen der Risalite schließlich werden gekuppelte Fenstermotive verwendet, im Eingangsrisalit als dreiteiliges Fenster mit Austritt, im Eckrisalit als Überfangung eines Rundbogenfensterpaares. Auf der Rückseite wechseln ebenfalls die Formate im 2. Obergeschoss, hier zwischen ein- und zweiteiligen Fenstern mit Rund- oder Segmentbogensturz. Im Erdgeschoss sind die Fabrikationshallen angebaut.

Der straßenseitige Eingang wurde in den 1960er Jahren auf die Schmalseite an der Albertstraße, rechts neben den Eckrisaliten verlegt. Die damit einhergehende Umgestaltung dieses Erdgeschossbereiches einschließlich des Eckrisaliten nahm mit großen Glasflächen vor neutraler weißer Wand keinen Bezug auf die historische Architektur.

Das Innere wurde bei dieser Neugestaltung der 1960er Jahre ebenfalls neu konzipiert. Aus der Bauzeit erhalten und prägend sind im Erdgeschoss die hohen Kappendecken mit kräftigen querteilenden Unterzügen sowie die Treppe im heute hinteren Bereich: eine schmale massive Treppe mit ornamentalem Metallgeländer, gerade gegenläufig mit Wendepodest. Bemerkenswert ist ferner der Solnhofer Plattenboden im Erdgeschoss, wohl ca. Mitte des 20. Jahrhunderts eingebracht. Die neue hölzerne Haupttreppe in historisierender Gestalt und weitere Einbauten (Raumteiler) stammen augenscheinlich ebenfalls aus den Umbauten der 1930er-1960er Jahre; möglicherweise älter sind hölzerne Einbauten im Dachgeschoss.

Denkmalwert
Das Gebäude, ehemals Hauptgebäude und repräsentatives Wahrzeichen eines international bedeutenden Unternehmens, ist ein wichtiges Zeugnis der Dülkener Orts- und Industriegeschichte und von deren Architektur im späten 19./frühen 20. Jahrhundert. Es markiert und prägt darüber hinaus einen ehemals stark industriell geprägten Teil des Stadtgebiets, der als typisches Stadterweiterungsgebiet mit der Eisenbahn als dynamischem Standortfaktor ab 1866 (Einweihung der Bahnstrecke Gladbach – Venlo) entstand.

Das Unternehmen A. Weyermann Söhne ging aus der 1839 vom Kaufmann Wilhelm Specken und dem Tuchhändler Albert Weyermann gegründeten Weberei Specken & Weyermann hervor, die sich mit hochwertigen, in Heimweberei hergestellten und 1855 auf der Weltausstellung in Paris prämierten Seidenstoffen einen Namen machte. Nach dem Tod der Gründer übernahmen Weyermanns Söhne Paul und Albert das Unternehmen, erwarben ein Grundstück an der Süchtelner Straße (heute Tilburger Straße) und errichteten darauf 1898 ein repräsentatives Kontorgebäude sowie eine moderne, mechanisierte Fabrikanlage zur Produktion von Sammet- und Seidenstoffen, die bereits 1905-06 erheblich ausgebaut wurde und neben einer eigenen Krafterzeugung auch eine Schreinerei, eine Rietmacherei und einen Schlosserbetrieb unterhielt. Den Arbeitern stand in den Pausen ein großer, parkartiger Garten zu Verfügung, in dem die beiden Inhaber Paul und Albert Weyermann in den Jahren 1913 und 1925 Wohnhäuser für die eigenen Familien errichten ließen. Am südwestlichen Grundstücksende entstand 1925 auch der Neubau einer Garage für drei Automobile mit integriertem Pferdestall und zwei Wohnungen. Mitte der 1930er Jahren profitierte das Unternehmen von der nationalsozialistischen Aufrüstung und baute die Produktionsanlagen ein weiteres Mal umfassend aus; nach dem Ende des zweiten Weltkriegs folgte mit der Rückkehr zur Zivilwirtschaft eine umfassende Modernisierung der gesamten Fabrik, in deren Verlauf nicht nur der Maschinenbestand auf den Stand der Technik gebracht, sondern auch das Kontorgebäude 1964 mit einem neuen, modern gestalteten Entree versehen wurde, welches die Erneuerung des Unternehmens in zeitgemäßer Formensprache zum Ausdruck bringen sollte. 2016 ging das Unternehmen - „nach eigenen Angaben der einzige in Deutschland verbliebene vollstufige Produzent von hochwertigen Futterstoffen für die Bekleidungsindustrie“ (RP 06.07.2016) -in die Insolvenz.

Die ausdrucksstarke Architektur des Gebäudes repräsentiert einen zeitgenössisch modernen, überörtlich typischen Baustil gerade im Industriebau: einen Massivbau mit robuster Ziegelfassade und weiß gestrichenen Gliederungen und Ornamenten v.a. an den Öffnungen, wobei die Fenster charakteristisch groß sind, für die angemessene Belichtung der Arbeits- und Werkräume im Inneren. Die Ausgestaltung mit Risaliten, Ziergiebeln oder dem ehemaligen Firstkamm zeugt von der gewünschten Repräsentation als bauliche „Visitenkarte“ der Fabrik, ohne dabei protzig zu wirken. Dieser Standard und die Tatsache, dass hier ein überregional tätiges Architekturbüro herangezogen wurde, zeugt sowohl vom Niveau der Firma als auch von der damals bereits notwendigen Spezialisierung bei solchen Bauaufgaben, so dass keines der vorhandenen lokalen Bauunternehmen hierfür verpflichtet wurde. Der Ingenieur Carl Salzberger hingegen hatte, soweit bisher bekannt, Bürostandorte in Burgsteinfurt und Krefeld, von wo aus er v.a. in den 1890er und 1900er Jahren in den zugehörigen Textilregionen tätig war. Er besaß sogar einige Patente für spezielle Konstruktionsdetails in Textilfabriken, war also offensichtlich ein ausgewiesener Spezialist auf diesem Gebiet. Das hier erhaltene Objekt ist mithin auch bedeutend für die Dokumentation des Werks eines wichtigen Architekten bzw. Planers im Industriebau der rheinisch-westfälischen Region um 1900. Auffallend und stimmig ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Unternehmen für seine weiteren Baumaßnahmen bis in die Nachkriegszeit hinein überwiegend bekannte auswärtige Spezialisten beauftragte.

Von städtebaulichem und ortsgeschichtlichem Interesse ist ferner, dass sich das Gebäude in markanter, prägender Ecklage im Stadterweiterungsgebiet zwischen Ortskern und Eisenbahn befindet – einer historisch typischen Situation, die sich natürlich und heute noch erkennbar dem Standortfaktor Eisenbahn verdankte. Zusammen mit der in den 1880er Jahren dort angesiedelten Seidenweberei JP Thum und der 1897/98 etwa zeitgleich mit Weyermann gebauten Kaffeerösterei Ferdinand Fuesers, beide unmittelbar benachbart, bildete die Fabrik A. Weyermann Söhne einen kleinen Industriebezirk, der sich später auf der anderen Seite der Bahnlinie, hier zum Teil mit metallverarbeitenden Betrieben, fortsetzte und eine wichtige Epoche in der Geschichte des lange Zeit industriell geprägten Dülken darstellte.

Gemäß §2 (1) Denkmalschutzgesetz NRW ist das ehemalige Kontor- und Lagergebäude der Samt- und Seidenweberei A. Weyermann Söhne Albertstraße 1/ Ecke Tilburger Straße in Viersen-Dülken - dreigeschossiger Baukörper ohne die zweigeschossigen Anbauten (einschließlich Aufzugturm) an der Albertstraße und ohne den eingeschossigen Annex im Süden entlang der Tilburger Straße - somit bedeutend für Städte und Siedlungen und die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse in Dülken, Stadt Viersen. Es ist im beschriebenen Umfang der charakteristischen Merkmale gut und anschaulich erhalten. Seine Erhaltung und Nutzung liegt aus den genannten wissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen im öffentlichen Interesse.

Quellen/ Literatur (in Auswahl)
-     Chronologie und Materialsammlung der UDB Viersen, 2021
-     Bauakten der Stadt Viersen
-     B. Hüppmeier: Die wirtschaftliche Entwicklung von Dülken (Niederrhein) von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung Lehramt Primarstufe 1994 (StA Viersen), Seite 143-149
-     diverse Firmenchroniken

Stand
12.04.2022