Rathaus Viersen

Baudenkmal Details
Listenart öffentliche Denkmäler
Listennummer 458
Eingetragen seit 30.08.2005
Flur / Flurstück 95/500
Adresse
Bahnhofstraße 23-29
41747 Viersen

Geschichte
Das älteste Viersener Rathaus wurde 1538 am Alten Markt/Remigiusplatz erbaut. 1854 erwarb die Stadt von Dr. Corty ein Haus Ecke Hauptstraße/Petersstraße. Während der Herrichtung dieses Gebäudes gab es gleichzeitig 1855/56 Planungen für einen Neubau an der Hauptstraße (Entwurf Friedrich-Wilhelm Heyden, Stadtbaumeister in Krefeld), die jedoch scheiterten. 1856, im Jahr der Stadtrechtsverleihung, wurde das neue Rathaus bezogen, am Markt verblieb das Friedensgericht. 1863 erhielt das Rathaus einen rückwärtigen Erweiterungsbau für Gefängnis und Friedensgericht (Entwurf: Frenken mit Stadtbaumeister Raschdorf, Köln).

Ständige Erweiterung der städtischen Verwaltung und deren notwendige Raumbedürfnisse sind fortan ein immer wiederkehrendes Thema. Nach Löhr bestand die gesamte Verwaltung einschließlich Polizei 1865 noch aus 13 Personen, während es 1900 schon 20 waren.

1887 beschließt der Stadtrat, ein Lager- und Bürogebäude der Firma Gebhard & Co. an der Casinostraße, der heutigen Bahnhofstraße, als Rathaus anzukaufen; der Mönchengladbacher Architekt Wilhelm Weigelt gestaltet den bis dahin unverputzten Backsteinbau repräsentativ um (Bahnhofstraße 29).

Die wachsende Raumnot der städtischen Verwaltung (bereits 1909 klagt die Stadtsparkasse über Raumnot) macht 1915 den Erwerb eines benachbarten Wohnhauses als Bürgermeisterwohnung nötig (Bahnhofstraße 25). Des weiteren werden das ehemalige Haus Preyer an der Hauptstraße (Stadthaus II) und das Casinogebäude an der Bahnhofstraße (Stadthaus III) für Verwaltungszwecke herangezogen.

Um dieser räumlichen Zersplitterung abzuhelfen, wird in den 1930er Jahren ein Wettbewerb für einen Rathaus-Neubau vorbereitet (1934/35 an der Langmaack-Straße); Stadthaus I soll dafür abgebrochen, Stadthaus II (Hauptstraße) zu einem Museum o.ä. umgenutzt werden. Der Krieg setzt diesem Vorhaben ein vorläufiges Ende.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das bestehende Rathaus an der Bahnhofstraße (29 und 25) weitergenutzt und 1949-52 durch einen Neubau unmittelbar im Anschluss bis zur Ecke Köngsallee (23) erweitert.

Entsprechend ihrer unterschiedlichen Bau- und Nutzungsgeschichte werden die drei Gebäudeteile Bahnhofstraße 23, 25, und 29 getrennt voneinander beschrieben.

Beschreibung Bahnhofstraße 29
Das stattliche dreigeschossige Gebäude erstreckt sich mit 11 Achsen entlang der Bahnhofstraße. Der Baukörper wurde 1872 als Kontor- und Lagergebäude errichtet. Nach dem Ankauf durch die Stadt 1887 erhielt er für seine neue Nutzung als Rathaus an seinen straßenseitigen Fassaden (Bahnhof- und Burgstraße) eine repräsentative Putzdekoration. Den Entwurf hierzu lieferte der Mönchengladbacher Architekt Wilhelm Weigelt. Zusätzlich wurde auf dem rückwärtigen Hof ein "Spritzenhaus" errichtet (Plan: C. Schnitzler, Ausführung: Gebr. Gormanns). 1900/09 verzeichnen die Quellen folgendes Raumprogramm: Erdgeschoss: Sparkasse, Polizeiamt; 1. Obergeschoss: Stadtratssaal, Standesamt, Bürgermeisterzimmer; 2. Obergeschoss: Steuerbüro, Registratur, Armenkasse, Stadtsekretär; die Bürgermeisterwohnung war auf alle Geschosse verteilt.

Die Putzfassade ist im Erdgeschoss mit einer kräftigen Putzbänderung versehen; die mit Keilsteinen akzentuierten geraden Stürze der Fensteröffnungen werden von löwenkopfbesetzten Volutensteinen bekrönt. Über einem breiten Geschoss-/Sohlbankgesims mit Wasserwogenfries erheben sich die beiden verputzten Obergeschosse mit einer dichten Gliederung aus zwischen die Fensterachsen gestellten, über beide Geschosse durchlaufenden Wandpilastern mit hohen, vegetabil ornamentierten Postamenten, kannelierten Schäften und korinthischen Kapitellen. Der vierachsige rechte Hausteil, ehemals wohl die Bürgermeisterwohnung, wird durch eine doppelte Pilasterstellung vom übrigen Teil abgesetzt, in ihm sind darüber hinaus die beiden mittleren Fensterachsen ohne zwischengestellten Pilaster dafür mit figuriertem Relief-Feld zusammengefasst. Die Fenster besitzen eine breite, ädikulaartige Rahmung, im ersten Obergeschoss werden sie abwechselnd von konsoltem Gebälk oder Kartuschen bekrönt. Die Fenster des zweiten Obergeschosses sind ebenfalls alternierend unterschiedlich ausgestaltet: über geradem Gebälk im 1. Obergeschoss sitzen die Fenster auf kleinen seitlichen Konsölchen auf und haben breite Putzrahmen mit geraden Verdachungen, über den Kartuschen ist die Rahmung einfach gehalten, dafür erfolgt die Bekrönung dort mit Konsolstein und geschweiften Verdachungen. Ein profiliertes Putzgesims schließt diese Putzgliederung, die farbig von der verbleibenden Wandfläche abgesetzt ist, nach oben ab. Eine schmale Putzfläche leitet dann zum klassizierenden Balkenkopf-Trauffries und dem flachen Walmdach über.

Die ebenfalls stuckierte Seitenfassade zur Burgstraße ist strukturell entsprechend, im Detail aber schlichter ausgeführt, mit lediglich zwei, weit auseinander stehenden Fensterachsen und demgemäss größeren Wandflächen. Die Fenster sind als Blenden geschlossen. Die Gebäuderückseite ist schmucklos backsteinsichtig belassen. Hinterhausflügel sowie die historischen Fuhrparkgaragen bilden eine Hofsituation aus, die zur Burgstraße mit einer dem Hauptbau angeglichenen Gestaltung geschlossen ist.

Der alte Hauseingang mit zweiflügeliger Haustür und rundbogigem Oberlicht ist nicht mittelachsig angeordnet, sondern seitlich zur ehemaligen Bürgermeisterwohnung gerückt. Über dem Eingang ist eine Wappenkartusche mit dem Stadtwappen Alt-Viersens angebracht. Im Inneren haben sich prägnante Reste der historischen Ausstattung erhalten. Hervorzuheben sind das Vestibül mit Schmuckfliesen-Boden und einem sichergestellten Rest alter Wanddekoration sowie die alte Holztreppe, gerade zweiläufig mit Wendepodest und gedrechselten Geländerstäben. Alte zweiflügelige Holzfenster mit geteiltem Oberlicht entsprechen dem Entwurfsplan.

Die noch junge Stadt Viersen beauftragte für diese prominente Bauaufgabe nicht einen lokalen Baumeister, sondern den bekannten Mönchengladbacher Architekten Wilhelm Weigelt. Weigelt ist als Architekt zwischen 1876 und 1900 greifbar. Von ihm stammen in Mönchengladbach u.a. das Casino der Gesellschaft „Erholung" in der Abteistraße 11 und das 1880 neu errichtete Wohnhaus der Burg Zoppenbroich. In Rheydt ist er mit siebzehn zum Teil prominenten Bauten nachgewiesen, überwiegend im Stil italienischer oder französischer Renaissance. Auch für die Villa von M.A. Rossié in Süchteln, Düsseldorfer Straße 25 und für das Gebäude Bahnhofstraße 36 (heute Gesellschaft Erholung) lieferte er den Entwurf.

Seit über einhundert Jahren Rathaus der Stadt Viersen ist das Gebäude Bahnhofstraße 29 bedeutend für Viersen. Seine an die italienische Renaissance angelehnte qualitätvolle Schmuckfassade macht es zu einem weitreichenden Blickpunkt innerhalb des Ensembles historischer Bauten an der Bahnhofstraße, deren städtebauliche Anordnung auf den Stadtbauplan von 1860 zurückgeht. Da bis in Innenraumdetails substanziell anschaulich erhalten, ist es als wertvolles Zeugnis städtischer Repräsentationsarchitektur des späten 19. Jahrhunderts anzusprechen. An der Erhaltung und Nutzung des Gebäudes Bahnhofstraße 29 besteht daher aus wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und ortsgeschichtlichen sowie aus städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse. 

Beschreibung Bahnhofstraße 25
Nach den Forschungen anlässlich der Ausstellung "Auf dem Wege zur Stadt" wurde dieses Gebäude 1877 für den Bauherren Mathias Lüps errichtet. Die vorhandene Bauakte beginnt jedoch erst 1880, als Wilhelm de Joncheere ein Trottoir vor "seinem" Wohnhause beantragt. Die Familien Lüps und de Joncheere waren eng miteinander verwandt: Anna Susanna Lüps, die Ehefrau von Johannes Mathias Lüps jr., war eine geborene de Joncheere aus Dordrecht und damit eine Verwandte der Viersener de Joncheere, Teilhabern der Leinenweberei de Joncheere & Küppers (Ulrich, S.127 u. ebd., Anm. 497). 1915 wird de Joncheere in den Kaufverhandlungen mit der Stadt als "Rentier, Cleve, Wasserburg" bezeichnet.

Bis zur Übernahme durch die Stadt 1915 war das Gebäude im Besitz de Joncheeres. Danach diente es zunächst als Bürgermeisterwohnung, 1937 erfolgte ein Umbau zu Büroräumen, der das bis dahin innen wohl noch in sich abgeschlossene Gebäude auch baulich mit dem benachbarten Rathaus verband.

Es handelt sich um ein dreigeschossiges Gebäude, das mit seiner Höhe und insgesamt vier Fensterachsen die Kubatur des links anschließenden älteren Rathausgebäudes fortsetzt. Eine weitere Achse tritt als Eingangsachse deutlich hinter die Fluchtlinie zurück und vermittelt heute nach rechts zu dem weiter fortführenden, ebenfalls zurücktretenden Neubau der 1950er Jahre.

Das Erdgeschoss ist als grob gebänderte Putzfassade rustiziert, die Fenster sind dort rundbogig ausgeführt; die Geschosse darüber sind backsteinsichtig belassen (1. Obergeschoss) bzw. verputzt (2. Obergeschoss), die Fenster mit geraden Stürzen versehen. Zwischen Erd- und erstem Obergeschoss vermitteln zwei horizontale Linien aus Geschoss- und Sohlbankgesims. Das erste Obergeschoss ist zudem durch die variierte Fensterverdachung aus Dreiecksgiebelchen über den beiden linken Achsen, geradem Gebälk rechts anschließend und dann wieder Dreiecksgiebel in der Eingangsachse als Beletage ausgezeichnet. Lediglich ein dünnes Sohlbankgesims leitet zum zweiten Obergeschoss über, mit einfachen niedrigeren Rechteckfenstern und einem abschließenden Klötzchentrauffries.

Die Gebäuderückseite ist zeitüblich schlicht gestaltet und wird fast gänzlich vom ehemaligen Wirtschaftsflügel und dem risalitartig vorstehenden Verandazimmer des Erdgeschosses geprägt.Den mit Schmuckfliesen gestalteten Weg zum Hauseingang begleitet rechts ein Mäuerchen, links eine in den Obergeschossen fensterlose Seitenwand, die im rustizierten Erdgeschoss eine Nische mit eingestellter Frauenstatue aufweist: "Nachbildung in gebranntem Ton, hergestellt von der Firma E. March Söhne, Charlottenburg bei Berlin, ca. 1,60 m. hoch, um 1880" ( aus dem Katalog Auf dem Wege zur Stadt, Nr. 73).

Die originale zweiflügelige Haustür mit Halbrund-Oberlicht ist mit antikisierender Pilaster-Postament-Gliederung aufwändig gestaltet.

Trotz der erfolgten Nutzungsänderung sind im Innern zahlreiche Ausstattungselemente erhalten, die vom ehemaligen herrschaftlichen Anspruch des Hauses zeugen. Hierzu zählen der Zimmergrundriss, insbesondere der repräsentativen Räume "Salon", "Zimmer" und "Verandazimmer" sowie des Treppenhauses im Erdgeschoss, bis hin in den ablesbar erhaltenen ehemaligen rückwärtigen Wirtschaftsflügel. Im Erdgeschoss des Treppenhauses (Treppe gerade zweiläufig mit Wendepodest) liegt ein Schmuckfliesenboden, zudem sind hier Decken- und Wandstuckierung hervorzuheben, mit Raumteilern aus gebälktragenden Wandpilastern und mehrfach profilierter Deckenkehle. In den Zimmern des Erdgeschosses befinden sich weitere ausgestaltete Decken: im vorderen ehemaligen "Salon" unterteilen eierstabartige Friese die Fläche mit Mittelrosette, begleitet von einem Konsölchenfries in den Kehlen; im mittleren "Zimmer" Mittelrosette mit stuckiertem Kehlfries, im hinteren "Verandazimmer" schließlich eine aufwändige Kassettendecke aus Holz, deren Felder durch von Konsölchen begleitete Stege voneinander getrennt werden. Zum historischen Baubestand zählen ferner alte Holzfenster, zumeist zweiflügelig mit Oberlicht.

Als Teil des Rathauses, ehemals Bürgermeisterwohnung und ursprünglich Wohnhaus wichtiger Unternehmer ist das Gebäude Bahnhofstraße 25 bedeutend für Viersen. Als bis in Details der Innenausstattung gut erhaltenes Zeugnis gehobener Wohnkultur des späten 19. Jahrhunderts sowie wegen seiner stadthistorischen Bedeutung als Bürgermeisterwohnung/Rathaus besteht an seiner Erhaltung und Nutzung aus wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und ortsgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Da es ein prägender Bestandteil des Ensembles etwa zeitgleicher historischer Gebäude an der Bahnhofstraße ist, treten städtebauliche Gründe hinzu.

Beschreibung Bahnhofstraße 23
Der Raum zwischen Rathaus und Königsallee war bis zum Zweiten Weltkrieg kleinteilig parzelliert und mit verschiedenen Gebäuden bebaut. 1877/78 sind Hotelier Caspar Walrafen, 1899 Hotelier Jos. Dikob mit Eigentum belegt (Hotel mit Saalbau auf Ecke Königsalle/Casinostraße). Weiterer Parzellenbesitz findet sich 1892 in der Hand von Johann Heinrich Lüps, Johann Mathias Lüps und Gebr. Müser, 1899 von Dinsing. Gänzlich neue bauliche Verhältnisse schuf erst 1949-52 der Rathausneubau, der die bestehenden Rathausgebäude bis zur Königsallee erweiterte.

Es handelt sich um ein langgestrecktes dreigeschossiges Backsteingebäude mit abgewalmtem Steildach und einem natursteinverkleidetem Eingangsrisalit, der mit einer offenen Kolonnade den davorliegenden Bürgersteig überbaut.

Die in regelmäßiger Achsialität gereihten Fenster besitzen Werksteingewände und ruhen an der Fassade zur Bahnhofstraße im Erd- und oberstem Geschoss auf einem dünnen Sohlbankgesims. Die zweiflügeligen Fenster sind hochrechteckig mit Kreuzstockteilung sowie weiterer Sprossung der Teilflächen; diejenigen im ersten Obergeschoss des Risalits sind durch ihre Größe hervorgehoben und kennzeichnen so den dahinter befindlichen Ratssaal.

Seiten- und rückwärtige Fassade sind entsprechend gestaltet, jedoch mit reduzierter Gliederung bzw. als glatte Lochfassaden. Im Risalit der Rückseite befindet sich ein Hintereingang mit originaler zweiflügeliger Holz-Glastür. Die Dachflächen sind durchweg durch Gauben bzw. Fensterbänder geöffnet.

Man betritt das Gebäude über flache Treppenstufen durch eine zweiflügelige Glastür mit goldeloxierter Rahmung, die bereits andeutet, dass im Inneren die Raumausstattung der Ursprungszeit in den öffentlichen bzw. repräsentativen Bereichen Eingang, Foyer, Treppenhaus, Ratssaal und teilweise Fluren noch umfänglich erhalten ist. Der Eingangs-Windfang mit halbhoher marmorierter Wandverkleidung, goldeloxierter Heizkörperverkleidung und ebensolchem Handlauf führt über einige weitere Stufen und eine weitere zweiflügelige Tür mit Oberlicht in der Art der Eingangstür in das Foyer.

Von dort aus erschließt sich der regelmäßige Grundriss dieses Gebäudeteils: an das in jedem Geschoss angeordnete Foyer schließt sich ein Mittelflur an, an dem beidseitig die Büroräume aufgereiht sind. Die Geschosse verbindet das an der Rückseite des Eingangsrisalits befindliche, durch hochrechteckige Öffnungen akzentuierte Treppenhaus mit einer gerade dreiläufigen Treppe mit gleichsinnigem Richtungswechsel und buntverglasten Fenstern. Im Foyer selbst tragen rechteckige, marmorverkleidete Pfeiler die Unterzüge der Decke. An Pfeilern und Wänden der Foyers in den einzelnen Geschossen sind verschiedene Wandlampentypen der Ursprungszeit erhalten, ebenso Deckenlampen. Das Brüstungsgeländer der Treppe ist als niedrige Brüstung mit marmorner Abdeckung und darauf aufgestelztem goldeloxierten Handlauf gestaltet. Wichtige Details wie Heizkörperverkleidungen und in die Wand integrierte Schaukästen, aber auch der kleinteilige Plattenboden im Erdgeschoss mit den erhaltenen hölzernen Wartebänken in den Fluren tragen zum historischen Raumeindruck wesentlich bei.

In den Foyers und in den Fluren wird die Unterzugkonstruktion des Gebäudes als raumgestaltendes- und rhythmisierendes Element betont. Besonders repräsentativ und damit als wichtigster Raum ausgezeichnet ist der Sitzungssaal (Alter Ratssaal) im ersten Obergeschoss. Er ist vom Foyer aus durch zwei hohe Eingänge mit zweiflügeligen Holztüren in Rahmen-Füllungs-Bauweise zu erreichen. Der Saal selbst besitzt einen Parkettboden und eine quer zum Gebäudegrundriss durch Stege in querrechteckige Felder kassettierte Decke. Die Reihung großer, lanzettartig hochrechteckiger Fenster mit Kreuz- und Sprossenteilung, verbunden mit einer hölzernen Wandvertäfelung mit integrierten Heizkörperverkleidungen, stellt eine der Funktion gemäße Würdeform dar. Annähernd raumhohe Falttüren trennen den Saal von den angrenzenden Räumen.

Im ersten Obergeschoss (Flur, Alter Ratssaal) schmücken großformatige Ge mälde des Malers Matthäus Schiestl (1869-1939) die Wände. Die zum Teil religiösen, teils allegorische Motiven sowie Szenen aus der Sagen- und Minnewelt des Rheinlandes waren im Auftrag von Josef Kaiser 1924/25 für das "Schiestl-Zimmer" in Haus Clee in Waldniel angefertigt worden. 1950 schenkte Kaiser Gemälde und Möbel des Bruders Heinz Schiestl seiner Vaterstadt. Schiestl war zu seiner Zeit ein vor allem in Süddeutschland sehr bekannter Maler und Grafiker, der sich fast ausschließlich religiösen und volkstümlichen ("altdeutschen") Themen in gegenständlicher Darstellung widmete. Durch Reproduktionsgrafik ("Schiestl-Bildchen") fanden seine Bilder weite Verbreitung. Nach seinem Tode war Schiestl bis zu seiner "Wiederentdeckung" durch eine Dissertation 1988/90 weitgehend vergessen. Die Viersener Bilder aus Haus Clee sind einige der ganz wenigen Werke Schiestls für Auftraggeber außerhalb Bayerns (zu nennen noch: Gemälde für St. Elisabeth in Bonn, 1911-21). Die Verbindung zu Josef Kaiser stellte wahrscheinlich der Bonner Restaurator Hermann Goldkuhle her.

Architekturgeschichtliche Würdigung und Denkmalwert
Baugeschichtlich ist das Gebäude stark den Repräsentations- und Würdeformen der 1920er und 1930er Jahre verpflichtet, was typisch für die frühe Planung 1949 ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Gleichsetzung des Neuen Bauens mit demokratischer Architektur in der neuen Bundesrepublik noch nicht etabliert, und gerade öffentliche Baubehörden bevorzugten nach wie vor konservativ-"gediegene" Bauformen. Der natursteinverkleidete Eingangsrisalit nimmt darüber hinaus mit seiner Überbauung des Bürgersteiges ein klassisches ikonographisches Motiv des Rathausbaus seit dem Mittelalter, die offene Laube, in abstrahierter Form wieder auf. Traditionalistisch-konservative Würdeformen prägen auch die in beachtlicher Vollständigkeit erhaltene Raumausstattung. Stimmig zur Bauauffassung verhalten sich auch die Gemälde von Matthäus Schiestl, auch wenn sie ursprünglich nicht für dieses Gebäude angefertigt wurden.

Als Rathaus und wichtigster Repräsentationsbau der Stadt aus der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 ist das Gebäude Bahnhofstraße 23 bedeutend für Viersen. Zusammen mit den benachbarten evangelischen Gemeindehaus bildet es einen städtebaulichen Fokus öffentlicher Gebäude mit qualitätvoller traditionalistischer Formensprache der 1950er Jahre im Zentrum der Stadt. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht aus dargelegten wissenschaftlichen, insbesondere orts- und architekturgeschichtlichen sowie aus städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse.

Insgesamt ist das Gebäude Bahnhofstraße 23-29 als Rathaus bedeutend für Viersen. Aus den im einzelnen angeführten architektur- und ortsgeschichtlichen sowie städtebaulichen Gründen besteht an seiner Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher gemäß § 2 (1) insgesamt um ein Baudenkmal.

Quellen
Stadtarchiv Viersen 2960, A 60/1 2093

Literatur
F.W. Lohmann: Geschichte der Stadt Viersen. Viersen 1913, Seite 862-864.
Werner Mellen: Viersener Rathäuser und Rathausprojekte. In. Heimatbuch Kreis Viersen 1977, Seite189-198.
Wolfgang Löhr: Viersen, so wie es war. Düsseldorf 1979, Seite 34f.
Auf dem Wege zur Stadt. Viersen im 19. Jahrhundert ( = Viersen. Beiträge zu einer Stadt 5), o.O./o.
J.Jochem Ulrich: Industrie und Gesellschaft am Niederrhein. Köln 1986.
Busso Diekamp: Volkstum und Religion. Matthäus Schiestl (1869-1939) und seine zeitgenössische Rezeption, Frankfurt a.M. 1990.
Annelie Scherschel: Wohnhäuser in Mönchengladbach/Rheydt zwischen 1880 und 1915. Diss. Saarbrücken 1996.

Im Auftrag 
Dr. Marco Kieser
30.01.2001