Listenart | industrielle Denkmäler |
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Listennummer | 115 |
Baujahr | um 1900 |
Eingetragen seit | 25.07.1986 |
Flur / Flurstück | 84/2, 348 |
Adresse |
Süchtelner Straße 188
41747 Viersen |
Beschreibung
Bei dem um 1900 errichteten Ringofen an der Süchtelner Straße handelt es sich um einen Sechzehn-Kammer-Ofen mit Kohlenfeuerung. Über dem konisch sich verjüngenden, von sechzehn rundbogigen Einsetzöffnungen durchbrochenen, ovalen Ofenkörper erhebt sich ein Walmdach auf rechteckigem Grundriss. In Höhe der Oberkante des Ofenkörpers ziehen sich einfache, auf Holzstützen ruhende, pultförmige Schleppdächer an nördlicher und südlicher Längswand entlang.
Der Schornstein erhebt sich am Schnittpunkt von Längs- und Querachse der Anlage. Auf quadratischem Sockel, der den First um etwa zwei Meter überragt, leitet ein oktogonales Zwischenstück zum runden, leicht konischen Schornstein selbst über, der einen Teil seiner ursprünglichen Höhe verloren hat.
Die drei für den Ringofen typischen Ebenen der Produktion, der Bedienung und des Wetterschutzes sind vollständig erhalten. Die ringförmig über den Ofenkammern angeordneten Schür-, Zug- und Beobachtungsöffnungen sind unverändert erhalten, und nicht, wie an anderen Stellen häufig, durch spätere Umstellung auf Gas- oder Erdölbetrieb beseitigt.
Nördlich anschließend erhabt sich im rechten Winkel zum Ringofen ein nach den Seiten hin nur mit Lattenrosten geschlossener Trockenschuppen unter flachem Satteldach. Die näher zur Süchtelner Straße hin gelegenen Wohngebäude sollen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.
Geschichte
Zwei Dinge charakterisieren lange Zeit die Produktion von gebrannten Ziegeln zu Bauzwecken:
Der Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Produktion und wiederum damit zusammenhängend die Produktion in Kampagnen, das heißt der diskontinuierliche Betrieb. Trotz der Konkurrenz rentablerer industrieller Technologie verlor der Prozess der Ziegelherstellung diese Ausprägung nur langsam.
Ein Markstein in dieser Entwicklung war das Jahr 1858; in Rosslau an der Elbe wurde erstmals der Pferdegöpel durch eine Dampfmaschine ersetzt. Der Fortschritt war groß. Ein Handziegler hatte pro Stunde 150 bis 200 Normalziegel ausgeformt. Ein Pferdegöpel mit zwei Pferden und drei Mann brachte es auf 300 bis 400 Stück pro Stunde. Die Dampfziegelpresse mit einer Leistung von 20 PS schaffte dagegen bereits 3500 Ziegel pro Stunde.
Der Wandel vollzog sich nun schnell. 1860 standen in Preußen in allen Betrieben der Branche Steine/Erden 97 Dampfmaschinen. Zehn Jahre später, 1870, waren es schon 361 und 1877 dann 648.
Der Ziegelausstoß stieg im Deutschen Reich von 1884 bis 1896 um 223 Prozent. In dieser Zeit hatte das Personal lediglich um 60 Prozent zugenommen. Die "Tonindustriezeitung" schätzte für das Jahr 1906, dass von den da produzierten 26 Milliarden Steinen noch 20 Prozent oder sechs Milliarden Stück von Hand geformt wurden. Ein wichtiger Industriezweig, in dem 1895 2,7 Prozent aller Erwerbstätigen oder 219.860 Personen tätig waren. 1875 waren es in 17.736 Lehm- und Tongruben erst 85.015 Arbeiter gewesen, in 20 Jahren also eine Vermehrung des Personalbestandes um das Zweieinhalbfache. 1906 arbeiteten 10.900 Ziegeleien, davon waren ca. 5.000 Dampfziegeleien. 1896 waren insgesamt 10,5 Milliarden Ziegel in Deutschland produziert worden sowie 450 Millionen Dachziegel, 143 Millionen Drainröhren mit 14 Millionen Tonröhren. In der Rheinprovinz hatte die Gewerbezählung von 1895 ergeben, dass in 4,2% der insgesamt etwa 1.200 Betriebe 12% der Arbeiter beschäftigt waren, die Quantität der Produktion somit eindeutig bei den Großbetrieben lag, die im Dauerbetrieb arbeiteten. Neben dem Maschineneinsatz wurde dieser jahreszeitunabhängige Betrieb vor allem durch die Entwicklung der Ofentechnik möglich gemacht.
Den Durchbruch zur industriemaßstäblichen Betriebsweise in der Ziegelherstellung schaffte der 1858 patentierte sog. Hoffmann-Licht'sche Ringofen. Erst hier gelang die Reduzierung der Brennstoffmenge in drastischem Maß und erst hier war die Voraussetzung zu kontinuierlichem Betrieb geschaffen, rechtzeitig, um auf das Wirtschaftswachstum der industriellen Revolution bedingte, sprunghafte Städtewachstum reagieren zu können.
Nach Brogniart waren bereits die Chinesen 2.000 v. Chr. auf die Idee gekommen, die heißen Gase aus einer im Vollfeuer stehenden Brennkammer zum Vorwärmen des in einer weiteren Ofenkammer stehenden Brenngutes zu verwenden. Auch das Prinzip, das Brennmaterial von oben in die Heizkammern einzubringen, war hier schon vorgegeben. In der Landbaukunst berichtet Gilly von einem J. G. Müller, der 1776 auf diese Weise sechs Öfen miteinander in Verbindung gebracht hatte. Eine kreisförmige Anordnung mehrerer Öfen nahm 1839 der Maurermeister Amold in Fürstewalde vor, was einen ununterbrochenen ringförmigen Raum mit sieben Kammern ergab - für jeden Wochentag eine. Weitere Entwicklungen in dieser Richtung waren gefolgt, die von Gibbs 1841, von Villeneuve 1845, setzten sich aber nicht durch, da jeweils "der Erfinder es nicht verstand, für seine Erfindung Reklame zu machen", wie Klasen anmerkt.
Dem Berliner Baumeister Friedrich Hoffmann, der zusammen mit dem Wiener Stadtbaurat A. Licht 1856 den ersten Prospekt für einen Ringziegelofen herausgab, sollte dies nicht passieren: Er gründete vorsorglich den "Deuschen Verein für die Fabrikation von Ziegeln, Thonwaren, Kalk und Zement" und erhielt im Mai 1858 das preußische, Anfang 1860 auch das bayerische und Württembergische Patent auf seinen Ringofen, 1867 auf der Pariser Weltausstellung sogar den begehrten Grand Prix. 1870 wurde das Patent aber bereits wieder aufgehoben auf Betreiben eines anderen Berliner Baumeisters, der inzwischen den oben erwähnten Ofen des Maurermeisters Amold von 1839 buchstäblich wieder ausgegraben hatte, um Hoffmanns Anspruch zunichte zu machen.
Der erste Hoffmannsche Ringofen war am 22. November 1859 in Scholwin bei Stettin in Betrieb gegangen; bis 1870 gab es 331 in Preußen und 639 in der ganzen Welt. Was war der Grund für diesen Erfolg? Vor allem die Brennstoffersparnis: zehn Zentner für 1.000 Steine hatte der Deutsche Ziegelofen gebraucht, sieben der Kasseler, Hoffmanns Ringofen mit zwölf Kammern benötigte nur noch drei Zentner, der 16- bis 18-kammrige ab 1868 sogar nur noch zwei bis zweieinhalb Zentner! Alles in allem also eine Brennkostensenkung um zwei Drittel! Rupp beschreibt dieses Wunderding: "Er bestand im Wesentlichen aus drei Teilen: Dem Brennkanal, dem Rauchsammler und dem Schornstein in der Mitte der Anlage. Der Brennkanal stellt dabei ein endloses, in sich selbst zurückkehrendes Gewölbe dar, das durch Scheidewände, sog. Schieber, in mehrere Abteilungen oder Kammern unterteilt werden kann, von denen jede nach außen mit einer Türöffnung versehen ist. Im Brennkanal des Ringofens macht das Feuer beständig die Runde in Richtung des Luftzuges, der durch Abzüge reguliert werden kann. Weiterer Vorteil des Ringofens war die geringe Bruchquote. Sie lag bei 1% gegenüber 10 bis 20% bei Feldbränden.
Die ursprünglich kreisrunden Öfen (von denen nur noch ganz wenige in Deutschland erhalten sind, z. B. im Werk Zehdenik des VEB Ziegelkombinats Potsdam, DDR) streckten sich bald und erreichten Maße zwischen 40 und 90 Metern Länge mit 14 bis 18 Brennabteilungen. Diesem Typus gehören die meisten der noch hier und da anzutreffenden Ringöfen an. Bei mehr als 18 Kammern entwickelte man Doppelringöfen, von denen ein besonders imposantes Beispiel, der Niermannsche Doppelofen in Düsseldorf-Grafenberg, als wichtiges Industriedenkmal erhalten, in seinem Bestand jedoch gefährdet ist.
Gerade im Rheinischen waren Ringöfen in großer Dichte anzutreffen: Von Kaldenkirchen an der holländischen Grenze aus erstreckt sich ein etwa 16 zu 4 Kilometer großes Tonvorkommen nach Süden bis in den Landkreis Erkelenz, auch heute noch ein Gebiet der intensiven Herstellung von Tonröhren. Um 1890 waren hier um die Orte Brüggen und Bracht herum zahlreiche Ringofenanlagen entstanden, die bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zwischen der Hälfte und zwei Dritteln ihrer Gesamtproduktion in die alte Reichshauptstadt Berlin abgesetzt hatten.
Eine Spezialität des rheinisch-westfälischen Kohlereviers waren die Zechenziegeleien, die mit Hilfe sog. "Trockenpressen" die beim Zechentiefbau nach 1850 anfallenden, bislang ungenutzten Schiefertone verarbeiteten. Ein soeben als Industriedenkmal wiederhergerichteter Zechenringofen dieser Art ist als Teil des westfälischen Industriemuseums auf der Zeche Nachtigal im Muttental bei Witten zu sehen.
Mit der Einführung des Hoffmannschen Ringofens beginnt die Industrialisierung der Ziegelsteinherstellung. Im Verbund mit den etwa gleichzeitig für die Massenproduktion geeigneten, die Dampfkraft als Antrieb nutzenden Arbeitsmaschinen tat die Ziegelindustrie den Schritt von der bäuerlichen Nebenerwerbstätigkeit in Abhängigkeit von Witterung und begrenztem Absatzmarkt zur leistungsfähigen, in immer größeren Betriebseinheit organisierten Industrie.
Rechtzeitig vor den Wachstumsschüben der sich bildenden Großstädte hatte sich hier die Technologie entwickelt, die notwendig war, um mit dem flutartig anschwellenden Bauvolumen Schritt zu halten. 1860 stand in Homberg bei Duisburg der erste Hoffmannsche Ringofen im Rheinland. Der Kreis Düsseldorf verfügte zu dieser Zeit über 34 Nicht-Ringofen-Ziegeleien mit insgesamt 246 Beschäftigten.
Bedeutung
Vor dem unter 2. skizzierten entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund ist die Viersener Ringofenanlage als bedeutender Beleg dieses Entwicklungsprozesses einzustufen.
Grundsätzlicher Aufbau, Größenordnung und Erhaltungszustand, sowie die Tatsache, dass spätere Technologien nicht verändernd eingewirkt haben, prädestinieren die Viersener Anlage zu einer Fortexistenz als technisches Denkmal. Weit über die Ortsgrenzen hinaus ist es geeignet, einen ganzen, nahezu vollständig verschwundenen regionalen Wirtschaftszweig repräsentativ erfahrbar zu machen. Im Vergleich zu anderen erhaltenen Anlagen ragt der Viersener Ofen heraus, was Erhaltungszustand und handhabbare Größenordnung anlangt.
Aus den genannten Gründen handelt es sich bei dem Ringofen der ehem. Firma Höges & Schloten um ein Denkmal im Sinne des § 2 Abs. 1 DSchG NW. Es ist in besonders signifikanter Weise bedeutend für die Geschichte der Städte und Siedlungen, deren Wachstum Bauten dieser Art erst ermöglichten, sowie für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Für die Erhaltung und Nutzung liegen wissenschaftliche und städtebauliche Gründe vor, hier insbesondere solche der Städtebau- und Technikgeschichte.
In Vertretung
Prof. Dr. Hilger
25.06.1987