Villa Franz Gierlings

Baudenkmal Details
Listenart städtische Denkmäler
Listennummer 527
Baujahr um 1860
Eingetragen seit 21.07.2017
Flur / Flurstück 5/387
Adresse
Viersener Straße 61
41751 Viersen

Beschreibung
Die Villa Viersener Straße 61 in Dülken wurde um 1860 für Franz Gierlings und seine Ehefrau Lisette, geborene Hoogen, errichtet. Nach deren Tod wohnten hier Viktor Gierlings und seine Ehefrau Annchen Fuesers. Nach Angaben aus der Familie wurde das Haus 1941 verkauft. Da originale Pläne nicht auffindbar sind, sind genaues Baujahr und Architekt nicht bekannt; auf Kataster- bzw. Lageplänen 1867 / 1873 ist das Haus jedenfalls schon eingezeichnet.

Die Villa liegt leicht zurückgesetzt von der Viersener Straße, ehemals die nördlich am mittelalterlichen Ortskern vorbeiführende Landstraße, die im Zuge des Stadtwachstums während des 19. Jahrhunderts mit Wohnhäusern und Fabriken bebaut wurde. Der hell verputzte Baukörper erhebt sich mit zweieinhalb Geschossen über querrechteckiger Grundfläche. Die fünf regelmäßige Fensterachsen breite Straßenfront und die beiden Schmalseiten - an der rechten befindet sich der Haupteingang - sind mit einer spätklassizistischen Gliederung gestaltet. Horizontale Gesimslinien, überwiegend Sohlbankgesimse, betonen die Geschossigkeit. Das Gesims zwischen Erd- und Obergeschoss ist durch eine zusätzliche untere Gesimslinie zu einem Gesimsband ergänzt, mit einer flach aufgeputzten Felderteilung und runden Schmuckformen unterhalb der Fenster. Die auf den Gesimsen aufstehenden hochrechteckigen Fensterrahmen sind fein profiliert, die Öffnungen werden von geraden Verdachungen überfangen, welche die Horizontalität unterstützen. Das Mezzaningeschoss unterhalb der Traufe mit seinen kleinen hochrechteckigen Belichtungsöffnungen (nach vorne jeweils in der Achse der Vollgeschossfenster, an den einachsigen Schmalseiten auch über den geschlossenen Wandflächen) besitzt eine kleinteiligere Gliederung aus kleinen, zum Teil doppel gesetzten Pilastern und Gesimslinien, mit korrespondierenden Volutenkonsölchen für das leicht vorkragende Dach darüber.

Die beiden Schmalseiten besitzen nur jeweils eine mittige Hauptachse von Öffnungen, an der rechten Seite gibt es unregelmäßig einige weitere Fensteröffnungen; der rundbogige Hauseingang ist an der rechten Schmalseite angeordnet, ein zwischenzeitlich an der linken Seite eingebrachter zusätzlicher Eingang wurde nach 1978 wieder zurückgebaut. Die zweiflügelige hölzerne Haustür ist kassettiert und wird von einem rundbogigen Oberlicht überfangen; die T-geteilten Fenster sind erneuert.

Die Rückseite ist bis auf die Öffnungen einfach verputzt. Prägend ist hier ein einachsiger, über alle Geschosse reichender Treppenhausrisalit in der Mitte, der von einem großen, vorkragenden Dreieckgiebel bekrönt wird. Die rundbogigen Treppenhausfenster oberhalb des Hinterausgangs, mit zweiflügliger kassettierter Holztür, besitzen feingliedrige Teilungen mit Rauten-/Parallelogramm-Mustern, zum Teil mit Buntglaseinsätzen.

Zwei ehemals vorhandene Flügelanbauten im rückwärtigen Bereich, die hier einen dreiseitigen Hof ausbildeten, sind nicht mehr vorhanden; rechts hinten ist seitlich ein Nachbargebäude direkt angebaut, das möglicherweise im Kern selbst auf eine ältere Erweiterung 1889 zurückgeht.

Im Inneren sind der Grundriss, das Treppenhaus mit Treppe und zahlreiche Ausstattungselemente wie Böden, Türen und kräftige Stuckdecken erhalten, so dass ein historischer Raumeindruck anschaulich ist. Zwischen dem an der rechten Schmalseite angeordneten Hauseingang und dem rückwärtigen Ausgang verläuft ein L-förmiger Flur, der mit großformatigen Steinplatten belegt ist. Ein korbbogiger Raumteiler zwischen Wandpilastern mit Türen schließt das Treppenhaus innerhalb des Flures ab. Die Treppe ist zweiläufig gerade mit Wendepodest und gedrechselten Stäben im Geländer. Der historische Grundriss enthält im Erdgeschoss an der Straßenseite drei Zimmer: direkt am Eingang einen „Salon“, ein kleinerer, „schwarzes Zimmer“ genannter Zwischenraum in der Achse des Treppenhauses und anschließend ein „Saal“. Von diesem führt eine große Schiebetür zum rückwärtigen Wohnzimmer. Ein weiteres Zimmer rechts des Eingangs, im Winkel des Flurs, wurde als „Kinderzimmer“ genutzt. Dieser private Charakter setzte sich im Obergeschoss fort, wo ursprünglich nur Schlafzimmer untergebracht waren. Bemerkenswert sind im Erdgeschoss die aufwendigen Stuckdecken der Zimmer und der kleinteilige gemusterte Parkettboden im ehem. „Saal“, auch der schön verkleidete Heizkörper nahe dem Eingang.

Begründung des Denkmalwerts

Bedeutung für Städte und Siedlungen (Dülken, Stadt Viersen)
Als repräsentativ gestaltetes Wohnhaus einer bedeutenden Unternehmerfamilie ist die Villa Viersener Straße 61 ein wichtiges Zeugnis der Orts- und Wirtschaftsgeschichte der ehemals selbständigen Stadt Dülken und damit bedeutend für Viersen.

Gebaut wurde das Haus um 1860 von dem Fabrikanten Franz Gierlings für sich und seine Familie. Nach dessen Tod wohnte hier sein Sohn Victor mit Familie. Die Familie Gierlings ist bereits 1808 als Textilunternehmer nachweisbar und betrieb damit eines der ältesten (früh-)industriellen Unternehmen der Stadt. Ursprünglich als Verleger handelnd, bauten sie ihren Betriebe im Laufe des 19. Jahrhunderts unter wechselnden Namen, Teilhaberschaften und Produktionszweigen aus: um 1820 Baumwollfabrik Math. Gierlings & Johann Cornely, um 1850 Seidenfabriken Math. Gierlings / Gebr. Gierlings. 1881 ging Gebr. Gierlings (Samt, Plüsch, Samtbänder) auf Victor u. Edmund Gierlings über: 1882 „E. Gierlings & Co.“, 1894 „V. Gierlings“, 1909 „V. Gierlings Kommanditgesellschaft“. Im Rahmen dieser Expansion wurde der Betrieb 1886 an der Viersener Straße neu errichtet und konzentriert. Auch nach Aufgabe der Firma ist der – zwischenzeitlich um Königs & Bücklers vergrößerte - alte Fabrikstandort noch heute im Ort bekannt und präsent.

Auch zwei Fabrikantenvillen an der Viersener Straße gehen auf die Familie Gierlings zurück: Viersener Straße 60, die 1886 für Edmund Gierlings errichtet wurde, und Viersener Straße 61 schon um 1860 für Franz Gierlings, die damit zusammen mit der „Notarsvilla“ Viersener Straße 76 eine der ältesten ihrer Art an der Viersener Straße ist.

Durch spätere Umnutzungen nach dem Verkauf aus Familienbesitz 1941 sind im Laufe der Geschichte Überdeckungen oder Überformungen erfolgt, die aber die historischen charakteristischen Merkmale nicht entscheidend beeinträchtigen. Größe, Stil und Ausstattung der Villa machen daher die Wohn- und Lebensumstände des gehobenen Wirtschaftsbürgertums aus Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts anschaulich. Hinzu kommt, dass die Nachbarschaft geprägt ist von weiteren ähnlichen Villen des 19. Jahrhunderts (Viersener Straße 33: Heinrich Sartingen (1900); Viersener Straße 53/55 (Doppelvilla): Amtsrichter Schmitz (1886); Viersener Straße 57: Wilhelm Eickert (um 1890); Viersener Straße 63: Realschuldirektor Dr. Höffling (um 1873); Viersener Straße 69: Dr. Schäfer (1873); Viersener Straße 60: Edmund Gierlings (1886); Viersener Straße 62: Benjamin Lucas (1883/84); Viersener Straße 76: Notar Nellinger (1860er Jahre)) und einigen in Resten erhaltenen Fabrikstandorten, so dass an der Viersener Straße insgesamt, zwischen neuerer und anders gearteter Bebauung, diese bedeutende Phase der geschichtlichen Entwicklung Dülkens noch sehr deutliche Spuren hinterlassen hat. Es handelt sich dabei um eine sehr typische Entwicklung in Städten mit starker Industrialisierung im 19. Jahrhundert, wo das Wirtschaftsbürgertum neue Stadterweiterungsgebiete schuf und zunächst meist ein enger Zusammenhang zwischen Wohnen und Arbeiten durch die Nähe der Villen zu den jeweiligen Betrieben ihrer Bauherren bestand.

Künstlerische und wissenschaftliche Gründe
Es handelt sich um eine in Proportion, Detaillierung und Ausstattung qualitätvoll gestaltete Villa im Stil des Spätklassizismus, dessen noble Schlichtheit das Anspruchsniveau des reichen Bauherrn ausdrückt und geschmacklich in Kontrast zum späteren, meist reich ornamentierten Historismus steht. Das Äußere ist im Wesentlichen unverändert und anschaulich erhalten und zeigt die typischen Stilmerkmale eines spätklassizistischen Wohnhauses / Villa. Auch im Inneren sind zahlreiche grundlegende historische Elemente wie Grundriss, Zimmertüren, Bodenbeläge, Stuckdecken und Treppenhaus noch vorhanden und zeugen vom Einrichtungs- und Wohnstil dieser Epoche. Hinzu kommen die oben genannten ortsgeschichtlichen Gründe, da die Villa ein typisches und gut erhaltenes Zeugnis der Dülkener Orts- und Wirtschaftsgeschichte darstellt.

Städtebauliche und stadtentwicklungsgeschichtliche Gründe
Die Villa ist Teil des Ensembles von Fabrikantenvillen an der Viersener Straße und damit auch ein wichtiges, prägendes Zeugnis des Stadtwachstums in Dülken in der Zeit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, als der Ort rasch über seine mittelalterlichen Grenzen hinauswuchs.

Typischerweise stand dabei der Bereich zwischen Ortskern und der neu angelegten Bahnlinie im Zentrum dieser Entwicklung. Der Weg zwischen Viersen und Dülken, bereits im Spätmittelalter urkundlich genannt, verläuft auf einer Geländekante oberhalb des mittelalterlichen Ortskerns von Dülken und führt so nicht direkt auf diesen zu, sondern mündet zunächst in die alte Landstraße nach Süchteln, welche dann von Norden durch das Süchtelner Tor in die Lange Straße mündete. Auf der Tranchotkarte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Weg als „Chemin de Vierssen“ bezeichnet; bis auf die Kreuzkapelle an der Ecke zur Süchtelner Landstraße war hier damals noch keine Bebauung vorhanden.

Die Anlage der Marktstraße 1825, die direkt von Nordosten in den Stadtkern führte, und die Abtragung der Stadtmauern nach 1831 schufen die Voraussetzung für eine rege Bautätigkeit, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts entlang der Viersener Straße zu einer zeittypischen Gemengelage aus Wohnhäusern, Gewerbe und zunehmend auch Industrie führte. Auch einige der vornehmsten Fabrikantenvillen des wachsenden Ortes entstanden hier. Nach 1842 erfolgte der Ausbau als Teil der Köln-Venloer- bzw. Viersen-Kaldenkirchener-Bezirksstraße, vor Eröffnung der Eisenbahn „eine der größten Verkehrs- und Handelsstraßen des diesseitigen Bezirks“ (Doergens Seite 132). Mit Post und Evangelischer Kirche wurden auch zwei wichtige öffentliche Gebäude hier errichtet. Diese Durchmischung prägt die Straße bis heute.

Auf der nördlichen, von der Stadt abgewandten Straßenseite setzte die Bebauung in den 1860er/70er Jahren etwas früher ein als auf der Stadtseite, deren in größeren Strecken erhaltene Reihenwohnhausbebauung in den 1880er und 1890er Jahren begann.

Die Villa Franz Gierlings steht für eine bestimmte, prägende Schicht von Bauten an der Viersener Straße und ist zudem wohl einer der frühesten Bauten überhaupt in diesem Bereich.

Die Villa Viersener Straße 61 in Viersen-Dülken erfüllt die Voraussetzungen des §2 Denkmalschutzgesetz für ein Baudenkmal. Sie ist bedeutend für die Stadt Viersen. An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht aus künstlerischen, wissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse.

Quellen und Literatur
Materialsammlung Stadt Viersen, Untere Denkmalbehörde und Eigentümer
Denkmalinformationssystem BODEON im LVR-ADR
Hugo Doergens: Chronik der Stadt Dülken. 1925, Seite 300 ff.
Barbara Hüppmeier: Die Industriegeschichte Dülkens von 1850 bis 1914. In: Heimatbuch Kreis Viersen 1998, Seite 168-186