Listenart | städtische Denkmäler |
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Listennummer | 412 |
Baujahr | 1912 |
Eingetragen seit | 18.07.2001 |
Flur / Flurstück | 57/302 |
Adresse |
Merianstraße 10
41749 Viersen |
Beschreibung
Das Wohnhaus Merianstraße 10 wird 1912 als Zweifamilienhaus errichtet. Es ist formal im Prinzip spiegelbildlich identisch mit dem Nachbarhaus Merianstraße 12, mit dem zusammen es nach Plan des Architekten J. Felder aus Kempen erbaut wird. Details wie Erker bzw. Balkon oder Zwerchhaus sind jedoch variiert.
Das über Sockel zweigeschossige Haus, traufenständig in eine geschlossene Zeile eingebaut, erhebt sich über leicht tiefrechteckiger Grundfläche (laut Entwurfsplan 8,5 x 11,6 m). Die verputzte Fassade besitzt vier nicht durchgezogene Fensterachsen, d.h. die Tür- und Fensteröffnungen der Geschosse sind nicht exakt übereinander angeordnet. Während der Hauseingang in der linken Achse angeordnet ist, betonen ein zwei Achsen breiter Kastenerker im Obergeschoss und darüber ein Zwerchhaus die Mitte.
Die Öffnungen des mit feinem Quaderputz versehenen Erdgeschosses sind rundbogig geschlossen, die der oberen Geschosse haben gerade Stürze. Die Brüstungsfelder sind mit einfachen geometrischen Blendgliederungen versehen. Lambrequins (Schabracken) mit radial gesprossten Oberlichtern zieren die Erdgeschossfenster. Auf der schmalen Linie des Geschossgesimses sitzt auch der Kastenerker auf, der seitlich je ein und nach vorne zwei schmale Fensteröffnungen aufweist. Sein Dach dient dem Zwerchhaus als Austritt. Dessen geschwungener Giebel ist oberhalb von Fenster und Fenstertür mit einer Kartusche geschmückt. Seitlich wird das Zwerchhaus von je einer Dachgaube begleitet; im Entwurfsplan sind diese nicht verzeichnet, möglicherweise aber dennoch ursprünglich.
Die Gebäuderückseite ist unverputzt belassen. Ein Hinterhaus hat es nicht gegeben.
Die wohl originale hölzerne Haustür mit Oberlicht, über Stufen tief eingenischt, führt in das Innere, dessen Grundrissprinzip durch die erhaltene Erschließung noch ablesbar ist. Der seitliche schmale Flur führt zum rückwärtigen Treppenhaus mit Ausgang in den Garten. Erd- und Obergeschoss besitzen laut Entwurfsplan ursprünglich je eine Wohneinheit aus zwei Zimmern, Schlafzimmer und Küche; das WC befindet sich auf dem Treppenabsatz. Der Flur ist mit kleinformatigen Schmuckfliesen mit für 1912 zeittypischem, abstraktem Dekor ausgelegt. Die Holztreppe ist gerade gegenläufig mit Wendepodest, weist gedrechselte Geländerstäbe und einen zylinderartigen Anfangspfosten auf, der formal ebenfalls eine spätere Zeitstufe repräsentiert als die meist kandelaberförmigen Anfänger des späten 19. Jahrhunderts. Im Obergeschoss ist der Raumteiler zwischen abgeschlossenem Treppenhaus und Wohnung erhalten. Auch andere Rahmen-Füllungstüren sind noch vorhanden.
Die bei konventionellem Baukörpertypus sachliche Gestaltung des Hauses, die z.B. auf Stuckdekorationen oder bestimmte Stilformen verzichtet, verweist auf die Entstehungszeit Anfang des 20. Jahrhunderts, in der man sich vom Historismus der Gründerjahre mit seiner applizierten Ornamentik absetzte. Auch an einzelnen Details im Inneren (Fliesendekor, Treppenanfänger) kommt diese Haltung zum Tragen. Eine Ausnahme bilden hierbei die vergleichsweise üppig dekorierten Lambrequins, die offenbar einem Bereich zeitgenössischer Massenproduktion entstammen, bei der "sachliche" Architekturreform noch keine Rolle spielte.
"Als Lambrequins (...) bezeichnen wir horizontal laufende, hängende stoffliche Abschlüsse, die nach unten in bestimmten Umrissen ausgeschnitten und mit Schnüren und Quasten besetzt, mit Stickereien verziert werden usw. Nach oben hin erhalten die Lambrequins gewöhnlich eine Fassung durch profilierte Leisten, sog. Galerien. Lambrequins finden sich als innere Abschlüsse der Fensterleibungen, an Himmelbetten, Baldachinen, Traghimmeln, Zeltdecken, Marquisen und ähnl. m. und neuerdings als Blende vor Rollladen und Jalousien (wobei das ausgeschnittene, gedrückte Blech zu der Form allerdings nicht im richtigen stilistischen Verhältnis steht)." (Meyer 1888, S.201f.)
Die Merianstraße, früher Nordstraße, ist eine nach Nordosten aus dem historischen Stadtkern von Süchteln hinausführende Straße. Als Weg ist sie bereits in den Kartenaufnahmen des frühen 19. Jahrhunderts (Tranchot 1805, Urkarte 1812) verzeichnet, mit annähernd dem gleichen, nicht durchgehend geradlinigen, sondern mehrfach gebrochenen Verlauf wie heute. An ihr angelegt ist der evangelische Friedhof; die Urkarte 1812 verzeichnet im Bereich der heutigen Wohnhauszeile große Gartenflächen vor der Umwallung des Ortes.
1911-13 wird die Straße mit zweigeschossigen Wohnhäusern ausgebaut. Die in den Bauakten der Häuser erhaltene Korrespondenz mit Kreisbaumeister Ledschbor und seinem Mitarbeiter Luthardt als zuständiger Bauberatungsstelle belegt, dass die Stadt Süchteln den Ausbau der Nordstraße als wichtige städtebauliche Maßnahme erachtet, die nicht nur die genannten Wohnhäuser, sondern auch zwei neue Querstraßen und einen Platz zwischen den Häusern 1 und 3 einerseits, 14 und 16 andererseits umfassen sollte. Obwohl vermutlich der Erste Weltkrieg die vollständige Durchbildung in diesem Sinne verhindert, ist auch heute noch der ursprüngliche Gestaltungswille im Straßenraum erfahrbar.
Bauherr der gesamten Ausbaumaßnahme an der Nordstraße ist der Bauunternehmer Franz Jürgens. Trotz der einheitlichen Bauherrenschaft erfolgt die Planung der einzelnen Gebäude jedoch durch vier verschiedene Architekten bzw. Baugeschäfte. Als erster Bauabschnitt entstehen 1911 die Wohnhäuser Merianstraße 4, 6 und 8 (Planverfasser: Solbach & Remmel, Viersen). Es folgen 1912 Merianstraße 10 und 12 (J. Felder, Kempen) sowie 1913 die Eckbebauung Merianstraße 14 und 16 (Franz Schrüllkamp, Krefeld). Ebenfalls 1913 wird auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Doppelhaus Merianstraße 1 und 3 als Wohnhaus und Gaststätte für Franz Jürgens selbst errichtet (W. Rompelberg, Süchteln). Die Wohnhäuser sind zum Teil als Ein-, zum Teil als Zweifamilienhäuser konzipiert; im Eckgebäude Merianstraße 16 ist im Erdgeschoss ursprünglich ein Ladengeschäft untergebracht.
Bevor Franz Jürgens als Bauunternehmer in Süchteln auftritt, ist er zunächst Bäcker in Düsseldorf. Nach örtlicher Überlieferung investiert er die Entschädigungszahlungen, die er nach einem Betriebsunfall erhält, in die Häuser an der Merianstraße. Jürgens selbst unterhält im Haus Merianstraße 3 eine Gaststätte. Kurz vor der Inflation in den zwanziger Jahren verkauft er seine Häuser. 1936 stirbt er im Alter von 79 Jahren.
Die Merianstraße bildet im Bereich der Hausnummer 1/3 bzw. 4 bis 16 ein Ensemble von im Gesamterscheinungsbild gut erhaltenen Wohnhäusern des frühen 20. Jahrhunderts, die 1911-13 in mehreren Bauabschnitten vom gleichen Bauherren errichtet werden. Der Straßenzug, dessen Gestaltung bei offenkundig einheitlicher Gesamtanlage im Detail abwechslungsreich variiert ist, wird bereits in den 1970er Jahren als im genannten Umfang schützenswert angesehen, da es sich um eine vergleichsweise umfängliche geschlossene Zeile von Wohnbauten (Merianstraße 4 bis 16) sowie einen platzbildenden Solitärbau (Merianstraße 1/3) handelt, in denen planvolle Stadterweiterung der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wie kaum sonst in Süchteln zum Ausdruck kommt (vgl. z.B. Rahmenplanung Altstadt Süchteln, 1978, S.29).
Als in wesentlichen Zügen substanziell anschaulich erhaltenes Wohnhaus des frühen 20. Jahrhunderts und Teil des Ensembles Merianstraße ist das Haus Merianstraße 10 in Süchteln bedeutend für Viersen. Aus den dargelegten Gründen besteht an seiner Erhaltung und Nutzung aus wissenschaftlichen, insbesondere architekturgeschichtlichen sowie aus städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz um ein Baudenkmal.
Quellen
Adressbuch Viersen-Dülken-Süchteln-Kaldenkirchen-Leuth 1925, Seite 320
Akte Merianstraße 10, FB 60/II Bauordnung
Rahmenplanung Altstadt Süchteln, 1978, Seite 29
Literatur
Franz Sales Meyer: Handbuch der Ornamentik, 1888
Stand
FB 80/III Zentrale Bauverwaltung
-Untere Denkmalbehörde-
Juni 2001