Listenart | städtische Denkmäler |
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Listennummer | 519 |
Baujahr | 1924-25/1982 |
Eingetragen seit | 01.12.2015 |
Flur / Flurstück | 57/46 |
Adresse |
Bismarckstraße 13
41747 Viersen |
Geschichte
Das Haus Bismarckstraße 13 wurde 1924/25 als Wohnhaus für den Kaufmann Josef Abrahams und seine Familie nach einem Entwurf des niederländischen Architekten B. Vossen errichtet. 1982 erfuhr es eine rückwärtige Erweiterung durch einen eingeschossigen Anbau nach Plänen des Eigentümers und Diplomingenieurs Anfried Uhlig, Gründer der Firma CIS Elektronic.
Die Bismarckstraße verläuft zwischen der Süchtelner Straße im Osten und der Hohe-Buschstraße im Westen. Bis zum Jahre 1933 hieß sie Florastraße. Von der Süchtelner Straße kommend wurde zunächst die rechte Seite bebaut, überwiegend mit freistehenden Wohnhäusern gehobenen Anspruchs; die linksseitige Bebauung ist demnach jünger.
Beschreibung
Es handelt sich um ein frei stehendes Wohnhaus, zweigeschossig, verklinkert, mit steilem Satteldach, giebelständig mit der Langseite in die Tiefe des Grundstücks orientiert. Auffallend ist die relativ weit von der Straße zurückgesetzte Lage, weiter als die auf einheitlicher Linie fluchtende Nachbarbebauung.
Der vertikale Zug des relativ schmalen Baukörpers wird kontrastiert durch zwei umlaufende, stark vorkragende Gesimse, die kräftige, weiß gestrichene Horizontallinien ausbilden und ein zeittypisches kubisches Element zufügen. Der Baukörper ist leicht L-förmig ausgebildet, da auf der Rückseite ein etwas über die Flucht hinausragender Querflügel mit eigenem Satteldach links vor die Flucht tritt. Sein seitlicher Giebel ist asymmetrisch abgeschleppt und mit einem vorstehenden Schornstein versehen.
Der Hauseingang befindet sich auf der rechten Traufseite; nach vorne gliedern drei Achsen eng gestellter Fenster die Fassade (im Erdgeschoss, oberhalb der unteren Gesimslinie und mit buntverglasten Oberlichtern), prägendes Merkmal ist hier aber ein über die gesamte Breite des Obergeschosses ausgebildeter „überdeckter Balkon“ (Bauantragszeichnung), seitlich verglast als Windschutz, der in seiner Form als Loggia auch an Liegehallen erinnert: unbestätigter mündlicher Überlieferung nach soll es in der Familie des Bauherren tatsächlich einen Krankheitsfall gegeben haben, der eine hier mögliche Luft- und Sonnentherapie notwendig machte.
Die Außenansichten des Hauses weisen typische Merkmale der zeitgenössischen Backsteinarchitektur auf: insbesondere auf der Eingangsseite gestalten flache Vor- und Rücksprünge sowie verschiedene Versatztechniken im Klinkerverband, also aus den Materialeigenschaften gewonnene Formen die Wandflächen; weitere zeittypische Kennzeichen sind abstrahierte Ornamente wie die schlanke horizontale Fenstervergitterung und der Lampenhalter ebenfalls auf der Eingangsseite. Während die nach vorne gerichtete Fassade streng symmetrisch gehalten ist, findet sich an den übrigen Seiten eine „freie“ Verteilung der Öffnungen, die teilweise auch zu akzentsetzenden Gruppen zusammengebunden sind.
Fenster und Türen sind ohne abgesetzte Gewände in die Wand eingeschnitten. Die hölzerne Haustür ist wohl original, sie zeigt eine geschlossene Fläche mit lediglich einem schlanken Lanzettfenster in der Mitte.
Innen ist der ursprüngliche, charakteristische und die Organisation der Architektur prägende Grundriss im Wesentlichen unverändert erhalten.
Das Erdgeschoss ist im Prinzip dreigeteilt, mit je einem definierten Bereich nach vorne (ursprünglich „Empfangszimmer“), nach hinten (ursprünglich zwei Zimmer „Küche“ / „Herrenzimmer“) und dazwischen einem ursprünglich als „Wohndiele“ bezeichneten Bereich und daran seitlich anschließend Vestibül, Treppenhaus und Eingang. Während der vordere und hintere Bereich durch umgebende Mauerflächen mit einzelnen Öffnungen definiert waren, präsentiert sich der mittlere Bereich im Grundriss als eine skelettartige, nach Südwesten großzügig durchfensterte Konstruktion; das Raumbild zeigt, Stützen und Balken entsprechend, eine gliedernde Kassettierung an Wänden und Decken. Der zentrale Wohnbereich erhält so beinah wintergartenähnlichen Charakter.
Bemerkenswert ist ferner das „offene“ Treppenhaus, im Obergeschoss in einen umlaufenden Flur mit Brüstungsgeländer mündend.
Im vorderen Zimmer (ehemals Empfangszimmer), das mit einer Schiebetür abgetrennt ist, ist noch alter Parkettboden (Fischgrätmuster) erhalten. Im Haus finden sich auch noch weitere alte Zimmertüren.
Der Gestaltungsanspruch des Architekten Vossen erstreckte sich auch auf den Garten, für dessen vorderen Bereich zur Straße hin, größer als bei den Nachbarn und daher für besondere Gestaltung disponiert, er im Lageplan eine zeittypische geometrische Anlage in Form eines etwas erhöht abgemauerten rechteckigen Rasenparterres vorsah, was im Wesentlichen erhalten ist. Zur Straße ist das Grundstück mit einer niedrigen, lediglich etwa kniehohen Backsteinmauer eingefriedet.
Die Rückseite des Hauses wurde 1982 mit einer Stahl-/Glas-Konstruktion mit prägnantem, asymmetrisch gestaltetem Betonsockel und -wangen (Abgang zum Garten) erweitert und umgestaltet. Diese moderne selbstbewusste Kleinarchitektur findet eine qualitätvolle Balance aus eigenständiger Gestalt und Respekt vor dem Bestand.
Bauherr
Der Bauherr Hermann Josef Abrahams (05.05.1876 – 12.08.1935) wird in den Bauantragsunterlagen als „Kaufmann“ bezeichnet. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist er dem Textilgeschäft Abrahams in der Viersener Hauptstraße zuzuordnen, war also wahrscheinlich als Textilhändler tätig. Zum Modegeschäft Abrahams, gegründet wohl 1910, heißt es in einem Artikel zu Viersener Traditionsgeschäften: „Direkt neben dem „Textilhaus Jost“ befand sich eines der ältesten Viersener Geschäfte, „Peter Abrahams“.“ In einer Ausgabe „Deutschlands Städtebau“ Viersen aus dem Jahre 1925 heißt es in einer Anzeige „Peter Abrahams Viersen Hauptstraße 141 am Neumarkt Herrenartikel größtes und leistungsfähigstes Geschäft dieser Branche am Platze.” [Viersen 55plus 2013, siehe Literaturverzeichnis]
Die Tatsache, dass Josef Abrahams keinen ortsansässigen Architekten, sondern den im hiesigen Raum unbekannten B. Vossen aus Venlo mit der Planung seines Hauses beauftragte, lässt außerdem auf enge (geschäftliche?) Beziehungen in die Niederlande schließen, wie sie typisch für die Region sind.
Laut Grundbuch des Amtsgerichts Viersen erfolgte erst 1925 der Verkauf des Grundstückes durch die Stadt Viersen an Josef Abrahams, wohnhaft Grüner Weg 2. Im gleichen Jahr stellte er, auf dem Briefkopf des Geschäftes Peter N. Abrahams, einen Antrag auf Bewilligung einer Hypothek aus dem Aufkommen der Hauszinssteuer. Anfang der 1930er Jahre ist Abrahams offenbar in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten – ein Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise liegt hier nahe. 1933 erfolgte ein Beschluss zur Zwangsverwaltung des Hauses, 1935 ein Nachlasskonkursverfahren. Am 12. August 1935 ist Hermann Josef Abrahams „nach einer schweren Operation“ gestorben. 1936 wurden Amtsgerichtsdirektor Dr. Ludwig Cohnen und seine Frau Henny Eigentümer des Hauses Bismarckstraße 13.
Architekt
Zum Architekten B. Vossen in Venlo ist bis dato in den üblichen Quellen (Literatur und Datenbanken) nichts dokumentiert. Möglicherweise ist er identisch mit einem gleichnamigen Architekten in Brunssum (Limburg), von dem einige Landhäuser aus den 1930er Jahren bekannt sind und der ca. 1942 verstorben ist.
Denkmalwert
Das Wohnhaus Bismarckstraße 13 ist bedeutend für Viersen als Bestandteil des herausgehobenen Wohngebietes Bismarckstraße (mit Hohe-Busch-Straße, Albert-Schweitzer-Straße, Im Grünen Winkel), mit einer Reihe qualitätvoller Wohnhäuser der 1920er bis 1950er Jahre (und jünger) in bewusst geplanter städtebaulicher Gesamtanlage. Es wurde 1924/25 als eines der ersten Häuser in dieser Wohnstraße errichtet. Als qualitätvolle und zugleich originelle Architektur ist es zudem ein bedeutendes Dokument für die Viersener Architekturgeschichte seiner Zeit, die gerade in der Bismarckstraße gewissermaßen wie ein „Katalog“ verschiedener Form- und Stiltendenzen nachvollzogen werden kann. Menge, Art und Vielfalt der Architektur jener Zeit belegen insbesondere die wirtschaftlichen Auf- und Abschwünge der 1920er und 1930 Jahre, weswegen Neubauten wohlhabender Kaufleute und Unternehmer wie dieses verstärkt in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre auftreten. Hintergrund und Entstehungsgeschichte des Hauses Bismarckstraße 13 sind hierfür symptomatisch.
Künstlerische und architekturgeschichtliche Bedeutung
Das Wohnhaus Bismarckstraße 13 ist ein im Wesentlichen sehr gut erhaltenes, qualitätvolles und dabei außergewöhnliches Zeugnis der modernen Architektur der 1920er Jahre. Wie die Herkunft des Architekten bereits zeigt, handelt es sich um einen Vertreter des seinerzeit auch in Deutschland sehr einflussreichen niederländischen Bauens, hier speziell der Amsterdamer Schule und der Landhausarchitektur, wobei gerade letztere auch englische Vorbilder der Zeit um 1900 verarbeitete. Dies erklärt, warum sich das Haus schon in der Ansicht, aber auch hinsichtlich seiner Grundrissgestalt und Raumorganisation deutlich von seiner Umgebung und den üblichen „deutschen“ Wohnhäusern jener Zeit abhebt. Hinzuweisen ist vor allem die selbstverständliche Verschmelzung traditionell regionaler (Backstein/Klinker, Steildach) und ausgesprochen moderner Elemente in durchaus „malerischer“ Art, so hinsichtlich der oben beschriebenen Asymmetrien, der klaren schnörkellosen Erscheinung mit kubischen Tendenzen (Gesimslinien) und der Loggiaausbildung im straßenseitigen, nach Süden gerichteten Giebel.
Die Bismarckstraße ist dabei gleichsam ein Musterbuch verschiedener stilistischer Ausprägungen zeittypischer Wohnhausarchitektur, wo sich auf engem Raum interessante Stilvergleiche anstellen lassen – hier z.B. zum Haus Bismarckstraße 19, etwa zeitgleich errichtet, aber in ganz anderer, eher deutsch-regionalistischer Haltung.
Die moderne Architektur der 1920er Jahre ist zwar bereits seit langem ein wichtiges Thema der Architekturgeschichte, ihre lokalen Ausprägungen zumal abseits der großen Metropolen des Rhein- und Ruhrraums sind jedoch immer noch Gegenstand der Grundlagenermittlung und -forschung. Aktuelle Beispiele mit Niederrhein-Bezug sind entsprechende Studien zu Krefeld (2014) und Hamborn (in Arbeit), wohingegen in Viersen die zusammenfassende Dokumentation der Architektur dieser Zeitstellung noch ein Desiderat ist. Gerade für den unmittelbaren Einfluss der niederländischen Architektur jener Zeit im gesamten Rhein-Ruhr-Raum („Backsteinexpressionismus“) ist das Haus Bismarckstraße 13 ein über Viersen hinaus wichtiges Beispiel.
Städtebauliche Bedeutung
Das Haus Bismarckstraße 13 ist, obwohl es weiter von der Straße abgesetzt liegt als seine einheitlich fluchtenden Nachbarn, integraler Bestandteil der Bebauung an der Bismarckstraße/ Hohe Busch Straße, deren städtebauliche Anlage als Wohngebiet (überwiegend) frei stehender Einzel- oder Doppel-Wohnhäuser gehobenen Charakters, ein- oder zweigeschossig mit zumeist tiefen Grundstücken, in den 1920er-1950er Jahren Gegenstand sorgfältiger und teilweise detaillierter städtebaulicher Planung war (entsprechende Dokumente in den Bauakten erhalten).
Als qualitätsvoll gestaltetes Wohnhaus der 1920er Jahre ist das Haus Bismarckstraße 13 einschließlich seiner modernen Erweiterung hinten und dem Vorgartenbereich mit Einfriedigungsmauer bedeutend für Viersen. An Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen, hier künstlerischen, architekturgeschichtlichen und städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse. Es ist daher gemäß § 2 Denkmalschutzgesetz NRW ein Baudenkmal.
Quellen/ Literatur
- Bauakte und Materialsammlung der Stadt Viersen
- Denkmalinformationssystem BODEON im LVR-Amt für Denkmalpflege
- http://www.viersen-55plus.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Zeitung_201305. pdf, [zum Textilgeschäft Abrahams]
Speziell zur Vorbildhaftigkeit niederländischer Architektur in den 1920er Jahren:
- Nieuw-Nederlandsche Bouwkunst. een Verzameling van Fotografische Afbeeldingen van Nederlandsche Moderne Bouwwerken met Plattegronden. Amsterdam 1929
- J. G. Wattjes: Moderne Nederlandsche Villa’s en Landhuizen. Amsterdam 1931
- Ingrid Ostermann: Fabrikbau und Moderne in Deutschland und den Niederlanden der 1920er und 30er Jahre. Berlin 2010
Stand
Dr. Marco Kieser
Wissenschaftlicher Referent
LVR/ Amt für Denkmalpflege im Rheinland
10.08.2015